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18 Geisterstories

18 Geisterstories

Titel: 18 Geisterstories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kluge
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ver­trau­ungs­voll wei­ter auf den kies­be­deck­ten Pfa­den, wo die Jo­han­nis­bee­ren und Sta­chel­bee­ren blüh­ten und wo ich deut­lich das Sum­men der Bie­nen ver­neh­men konn­te, wäh­rend sie um die Blu­men­kel­che gau­kel­ten. Plötz­lich fuhr ein kal­ter Zug­wind durch den Gar­ten, das jun­ge Mäd­chen er­beb­te, und ih­re Wan­gen erb­li­chen.
    »Friert dich denn nicht?« sag­te sie zu mir.
    »Mich friert! Merkst du nicht, daß Nacht und Tod her­an­na­hen?«
    Ich woll­te ant­wor­ten; aber im sel­ben Au­gen­blick fuhr ein neu­er, stär­ke­rer, ei­si­ger Wind­hauch durch den Gar­ten. Die Blät­ter ver­welk­ten auf den Bäu­men, die Blu­men senk­ten ih­re Häup­ter, und die Bie­nen fie­len von den Jo­han­nis­beer­blü­ten tot zur Er­de.
    »Er kommt!« flüs­ter­te sie schau­dernd. Ich woll­te sie an mei­ne Brust drücken, aber es war, als ver­blaß­te und ver­schwän­de ih­re Ge­stalt und stün­de un­deut­lich in der Luft. Da saus­te ein drit­ter, noch hef­ti­ge­rer Sturm durch den Gar­ten. Das Laub flog gelb und dürr in großen Hau­fen an der Er­de hin und wur­de dann wild in die Luft em­por­ge­wir­belt. Die blü­hen­den Sträu­cher wur­den im Nu schwarz und kahl, Kreu­ze und Grab­denk­mä­ler tra­ten un­ter den ent­blät­ter­ten Bäu­men her­vor; – ich stand wie­der auf dem Kirch­ho­fe, und die ros­ti­ge Wet­ter­fah­ne knarr­te schrill durch die Luft. Ne­ben mir stand ein star­ker, mes­sing­be­schla­ge­ner Sarg von Ei­chen­holz mit ei­ner Me­tall­plat­te auf dem De­ckel. Ich beug­te mich hin­ab, um die In­schrift zu le­sen. Da flog plötz­lich der De­ckel schwer zu­rück, und aus dem Sarg er­hob sich das jun­ge Mäd­chen, das ich im Sar­ge ge­se­hen. Ich woll­te ihr zu Hil­fe ei­len, und sie in mei­ne Ar­me schlie­ßen, da – o Grau­sen! – sah ich an den glä­ser­nen Au­gen, daß es je­nes ge­fal­le­ne Weib sei, das ich bei dem Licht­stump­fe im Fens­ter hat­te ni­cken se­hen. Wild um­schlang sie mich und zog mich in den Sarg hin­ab. Der Atem ver­ging mir, ich schrie laut um Hil­fe und – er­wach­te da­durch.
    Mein Zim­mer kam mir un­ge­wöhn­lich hell vor, aber ich ent­sann mich, daß wir Mond­schein hät­ten, und dach­te nicht wei­ter dar­an. Üb­ri­gens schie­nen man­che Be­ge­ben­hei­ten mei­nes Trau­mes ih­re na­tür­li­che Er­klä­rung durch die Um­ge­bun­gen zu fin­den, in wel­chen ich ge­schla­fen hat­te. Die Flie­ge surr­te noch in der Tü­te wie ein gan­zer Bie­nen­schwarm; ei­nes der obe­ren Fens­ter war auf­ge­sprun­gen, und die Nacht­luft drang durch das­sel­be in mein Zim­mer. Ich stand auf, um es zu schlie­ßen, und be­merk­te erst jetzt, daß das star­ke, hel­le Licht, wel­ches mein Ge­mach er­füll­te, nicht vom Mon­de kam, son­dern gleich­sam von der Kir­che ge­gen­über aus­strahl­te. Im sel­ben Au­gen­blick be­gan­nen die Glo­cken zu läu­ten, erst ge­dämpft und wie in wei­ter Fer­ne, dann stär­ker und stär­ker, bis sie end­lich, mit dem Brau­sen der Or­gel ver­mischt, wie ein ge­wal­ti­ger Strom von Tö­nen an mein Fens­ter schlu­gen. Ich starr­te hin­aus und woll­te mei­nen ei­ge­nen Au­gen kaum glau­ben. Die Häu­ser in La­de­mär­ket wa­ren lau­ter klei­ne, ein­stö­cki­ge Ge­bäu­de mit Er­kern und höl­zer­nen Dach­rin­nen, die in ge­schnitz­te Dra­chen­köp­fe aus­lie­fen. Die meis­ten hat­ten Söl­ler oder Al­ta­ne mit ge­schnitz­tem Git­ter­werk, und den Ein­gang bil­de­ten ho­he Stein­trep­pen mit Mes­sing­ge­län­dern, de­ren blank po­lier­te Knäu­fe im Licht­glanze blink­ten. Aber was mich am meis­ten wun­der­nahm, war die Kir­che. Die­se lag nicht wie sonst; der run­de Turm war ge­gen Kjöb­ma­ger­ga­den und die Fassa­de der Kir­che mit den Stre­be­pfei­lern und spitz­bo­gi­gen Fens­tern ge­gen die Re­genz ge­kehrt. Die Kir­che war glän­zend er­hellt, und jetzt erst wur­de es mir ganz klar, daß der star­ke Licht­schim­mer, wel­cher mein Zim­mer er­füll­te, von drü­ben her­kam. Sprach­los blieb ich ste­hen; der Glo­cken­klang und das Brau­sen der Or­gel durch­beb­ten die Luft, und auf dem Mit­tel­gang der Kir­che sah ich einen großen Hoch­zeits­zug sich lang­sam zum Al­tar be­we­gen.

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