18 Geisterstories
als er dort grau in der grauen Morgendämmerung stand! Ich blickte nach Landemärket hinüber; es war Licht in dem Bäckerladen, und ein Torfbauer stand draußen und band seinen Pferden die Futtersäcke unters Maul. Ich schielte halb ängstlich in mein Zimmer, allein alles war in gewohnter Ordnung. Mein hochlehniger Armsessel, mein blinder Rasierspiegel, mein gichtbrüchiges altes Sofa, – alles stand auf seinem Platze, ja selbst die Tüte mit dem Puderzucker lag noch im Fenster, und die Fliege surrte darin. Ich fühlte, daß ich wach sei, und daß der Tag graue. Rasch sprang ich von der Fensterbank herab und wollte mich wieder ins Bett legen, als mein Fuß an etwas Hartes und Scharfes stieß. Ich bückte mich, um es aufzuheben, tastete im Halbdunkel auf der Diele umher und erfaßte einen langen, dürren, halb vermoderten Arm, dessen steife Finger ein zusammengerolltes Blatt Papier umkrampften. Ich tastete weiter und erfaßte einen zweiten, der ebenfalls ein zusammengerolltes Papier zwischen den Fingern hielt. Jetzt begann ich an meinem Verstände zu zweifeln. Ich wußte, daß, was ich gesehen, eine Folge meiner erhitzten Fantasie, ein Traum sei, der gegen sein Ende hin den Charakter einer Sinnestäuschung angenommen habe. Ich wußte, daß ich wach, daß das Ganze eine Halluzination sei, und doch lagen hier feste, unwiderlegliche Beweise des Gegenteils vor. Ich glaubte wirklich, ich sei im Begriffe, wahnsinnig zu werden, und mit fiebernder Hast öffnete ich die Papierrolle. Dort stand nur das Wort ›Sölling‹.
Ich ergriff das zweite Papier und rollte es auf; dort stand: ›Nansen‹.
Noch hatte ich die Kraft, ein drittes zu ergreifen und zu öffnen; dort stand: ›Siemsen‹; aber im selben Augenblicke stürzte ich schon wie besinnungslos zur Erde.
Als ich wieder zu mir kam, stand Niels Daae neben mir mit einem geleerten Waschgusse, dessen Inhalt noch vom Sofa herabtroff, auf das er mich gelegt hatte.
»Hier, trinke das«, sagte er mit schmeichelndem Tone, »dann kommst du schon wieder auf die Beine. Es ist ein vortrefflicher Cognac; ich nahm selber erst einen Schluck davon.«
Verstört blickte ich mich um und nippte an dem Glase, dessen kräftiger Inhalt schnell meine Lebensgeister ermunterte.
»Was ist geschehen?« fragte ich mit matter Stimme.
»Ach, eigentlich nichts von Bedeutung«, erwiderte Niels Daae. »Du bist nur im Begriff gewesen, dir selbst durch eine kleine Kohlenstoffvergiftung das Leben zu nehmen. Es sind auch verwünscht schlechte Klappen, die hier an den alten Kachelöfen auf der Regenz sitzen. Der Sturm heute nacht muß sie zugeschlagen haben, wenn du nicht selbst so genial gewesen bist, sie zu schließen, ehe du zu Bett gingst. Wäre ich eine Stunde später gekommen, kleiner Siemsen, so wärest du so weit auf der Reise zu Sankt Peter mit den Goldschlüsseln gewesen, daß ein alter Cognac dich nicht mehr hätte zurückrufen können. Nimm noch einen kleinen Schluck!«
»Wie bist du heraufgekommen?« fragte ich, mich aufrichtend.
»Auf die einfachste und natürlichste Weise von der Welt«, antwortete Niels Daae. »Ich hatte diese Nacht die Wache auf dem Hospitale; aber weil ich ziemlich viel Punsch bei Lars Mathiesen getrunken hatte, schlief ich mehr, als ich wachte, und fand es daher passend, mich gegen die Morgenstunde fortzuschleichen. Als ich nach Krystalgaden heimging, kam ich an der Regenz vorbei und sah dich hier rittlings in bloßem Hemde auf der Fensterbank sitzen und den Nachtwächter durch das Geschrei ›Feuer, Mordjo!‹ oder dergleichen alarmieren. Es gelang mir endlich, Jensen dort unten aufzuklopfen, und durch sein Fenster kam ich in die Regenz. Es ist auch eine sonderbare Manier, sich in bloßem Hemde mitten auf die Diele zu legen!«
»Wo
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