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18 Geisterstories

18 Geisterstories

Titel: 18 Geisterstories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kluge
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mit fins­tern, dräu­en­den Mie­nen; klei­ner und klei­ner ward der Zwi­schen­raum zwi­schen ih­nen und mir; mehr und mehr wur­de ich in mei­ne Ecke ge­drängt, bis sie fast wie ei­ne Bür­de auf mei­ner Brust las­te­ten und mich schier er­drück­ten. End­lich schie­nen kei­ne mehr im Ge­ma­che Platz zu fin­den. Die At­las- und Sei­den­ge­wän­der knis­ter­ten und ra­schel­ten nicht län­ger um mich her; ei­ne To­ten­stil­le ent­stand, und ich sah den Geist­li­chen mit der Agen­de in der Hand auf mich zu­schrei­ten.
    »Was willst du?« hör­te ich es in mir spre­chen; ich fühl­te, daß mei­ne Lip­pen sich be­weg­ten, aber es war mir nicht mög­lich, einen Laut mit den­sel­ben her­vor­zu­brin­gen. Der Geist­li­che muß­te je­doch mei­ne Ge­dan­ken er­ra­ten kön­nen; denn er er­hob die Hand und sag­te mit ei­ner selt­sam tie­fen und doch klang­lo­sen Stim­me: »Das Grab ist hei­lig und un ver­letz­lich; den Frie­den der To­ten darf nie­mand stö­ren.«
    »Hei­lig und un­ver­letz­lich!« er­klang es durch die Schar, wie wenn ein un­deut­li­ches Echo sich zwi­schen den Baum­stäm­men ver­liert.
    Mich schau­der­te in tiefs­ter See­le, ich emp­fand einen un­wi­der­steh­li­chen Drang, ei­ne bren­nen­de Lust, auf die Knie zu sin­ken und um Gna­de und Ver­ge­bung zu fle­hen; aber es war, als sä­ße ein be­tö­ren­der Dä­mon auf mei­ner Zun­ge, der mich zu ant­wor­ten zwang: »So ist es schlimm um den To­ten­grä­ber­be­stellt; er legt je­den Tag neue Lei­chen zu den al­ten, und lebt dar­um nicht min­der froh.«
    »Er tut nur sei­ne Pflicht«, ant­wor­te­te der Geist­li­che, »und kei­ner wird ihn darob schel­ten; aber über­mü­ti­gen Frie­den des Gra­bes stört, der wird der Stra­fe nicht ent­ge­hen.«
    »Er wird der Stra­fe nicht ent­ge­hen«, er­scholl es aber­mals aus der Schar mit Stim­men, wie wenn der sau­sen­de Herbst­wind das gel­be Laub über die Er­de jagt.
    »Was wollt Ihr? Was ver­langt Ihr?« schrie ich in der höchs­ten Ver­zweif­lung der To­des­angst.
    »Gib der Gruft zu­rück, was der Gruft ge­hört!« er­klang wie­der die­sel­be tie­fe Stim­me.
    »Gib der Gruft zu­rück, was der Gruft ge­hört!« wie­der­hol­te die Schar, wel­che sich aber­mals dro­hend um mich dräng­te.
    »Das ist un­mög­lich! Das kann ich nicht, ich ha­be ihn ver­kauft, ich ha­be ihn auf ei­ner Auk­ti­on ver­stei­gert«, schrie ich ver­zweif­lungs­voll. »Er war be­gra­ben und in der Er­de ge­fun­den; fünf Mark acht Schil­lin­ge! Ein Reichs­ta­ler! Bie­tet nie­mand mehr? Der Arm ge­hört Söl­ling!«
    Ein Schrei, ein gel­len­der Ra­che- und Ver­zweif­lungs­schrei ging durch die Schar. Wie feuch­te Ne­bel dran­gen die Ge­stal­ten her­an und drück­ten mit ei­ner Ge­walt auf mich ein, als woll­ten sie mich er­sti­cken. Es fun­kel­te und blitz­te mir vor den Au­gen, und ich hör­te ein schwe­res, dump­fes Ge­pol­ter, wäh­rend ich mit die­sen Schat­ten rang, die kei­nen ma­te­ri­el­len Hal­te­punkt dar­bo­ten. Ganz au­ßer mir, stieß ich das Fens­ter auf, und in­dem ich ei­ne An­stren­gung mach­te, auf die Stra­ße hin­aus­zu­sprin­gen, schrie ich in der höchs­ten Angst der Ver­zweif­lung: »Hil fe! Mör­der! Man er­mor­det mich!«
    Der Wi­der­hall mei­ner ei­ge­nen Stim­me, der noch durch mein Zim­mer klang, er­weck­te mich. Ich saß in bloßem Hem­de auf der Fens­ter­bank, das ei­ne Bein halb aus dem Fens­ter ge­streckt, und mit bei­den Hän­den krampf­haft den Fens­ter­pfos­ten um­klam­mernd. Drun­ten auf der Stra­ße stand der Nacht­wäch­ter in Holz­schu­hen, mit Mor­gens­tern und Ka­puz­man­tel, und stier­te mich ver­wun­dert an, wäh­rend die leich­ten Ne­bel­wol­ken, die furcht­ba­ren Vi­sio­nen der Nacht, wie ein weiß­li­cher Rauch durch das Fens­ter hin­aus­zo­gen. Drau­ßen brach der No­vem­ber­tag an, grau und feucht, und als die fri­sche Mor­gen­luft mei­ne Wan­gen kühl­te, kehr­te auch die Be­sin­nung zu­rück. Ich er­blick­te den Wäch­ter – Gott seg­ne ihn! Das war doch ein wirk­li­cher, hand­greif­li­cher Wäch­ter, und kei­nes der täu­schen­den Spuk­bil­der der Nacht. Ich blick­te auf den run­den Turm; wie mas­siv, ehr­wür­dig und un­ver­rück­bar sah er aus,

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