18 Geisterstories
mit finstern, dräuenden Mienen; kleiner und kleiner ward der Zwischenraum zwischen ihnen und mir; mehr und mehr wurde ich in meine Ecke gedrängt, bis sie fast wie eine Bürde auf meiner Brust lasteten und mich schier erdrückten. Endlich schienen keine mehr im Gemache Platz zu finden. Die Atlas- und Seidengewänder knisterten und raschelten nicht länger um mich her; eine Totenstille entstand, und ich sah den Geistlichen mit der Agende in der Hand auf mich zuschreiten.
»Was willst du?« hörte ich es in mir sprechen; ich fühlte, daß meine Lippen sich bewegten, aber es war mir nicht möglich, einen Laut mit denselben hervorzubringen. Der Geistliche mußte jedoch meine Gedanken erraten können; denn er erhob die Hand und sagte mit einer seltsam tiefen und doch klanglosen Stimme: »Das Grab ist heilig und un verletzlich; den Frieden der Toten darf niemand stören.«
»Heilig und unverletzlich!« erklang es durch die Schar, wie wenn ein undeutliches Echo sich zwischen den Baumstämmen verliert.
Mich schauderte in tiefster Seele, ich empfand einen unwiderstehlichen Drang, eine brennende Lust, auf die Knie zu sinken und um Gnade und Vergebung zu flehen; aber es war, als säße ein betörender Dämon auf meiner Zunge, der mich zu antworten zwang: »So ist es schlimm um den Totengräberbestellt; er legt jeden Tag neue Leichen zu den alten, und lebt darum nicht minder froh.«
»Er tut nur seine Pflicht«, antwortete der Geistliche, »und keiner wird ihn darob schelten; aber übermütigen Frieden des Grabes stört, der wird der Strafe nicht entgehen.«
»Er wird der Strafe nicht entgehen«, erscholl es abermals aus der Schar mit Stimmen, wie wenn der sausende Herbstwind das gelbe Laub über die Erde jagt.
»Was wollt Ihr? Was verlangt Ihr?« schrie ich in der höchsten Verzweiflung der Todesangst.
»Gib der Gruft zurück, was der Gruft gehört!« erklang wieder dieselbe tiefe Stimme.
»Gib der Gruft zurück, was der Gruft gehört!« wiederholte die Schar, welche sich abermals drohend um mich drängte.
»Das ist unmöglich! Das kann ich nicht, ich habe ihn verkauft, ich habe ihn auf einer Auktion versteigert«, schrie ich verzweiflungsvoll. »Er war begraben und in der Erde gefunden; fünf Mark acht Schillinge! Ein Reichstaler! Bietet niemand mehr? Der Arm gehört Sölling!«
Ein Schrei, ein gellender Rache- und Verzweiflungsschrei ging durch die Schar. Wie feuchte Nebel drangen die Gestalten heran und drückten mit einer Gewalt auf mich ein, als wollten sie mich ersticken. Es funkelte und blitzte mir vor den Augen, und ich hörte ein schweres, dumpfes Gepolter, während ich mit diesen Schatten rang, die keinen materiellen Haltepunkt darboten. Ganz außer mir, stieß ich das Fenster auf, und indem ich eine Anstrengung machte, auf die Straße hinauszuspringen, schrie ich in der höchsten Angst der Verzweiflung: »Hil fe! Mörder! Man ermordet mich!«
Der Widerhall meiner eigenen Stimme, der noch durch mein Zimmer klang, erweckte mich. Ich saß in bloßem Hemde auf der Fensterbank, das eine Bein halb aus dem Fenster gestreckt, und mit beiden Händen krampfhaft den Fensterpfosten umklammernd. Drunten auf der Straße stand der Nachtwächter in Holzschuhen, mit Morgenstern und Kapuzmantel, und stierte mich verwundert an, während die leichten Nebelwolken, die furchtbaren Visionen der Nacht, wie ein weißlicher Rauch durch das Fenster hinauszogen. Draußen brach der Novembertag an, grau und feucht, und als die frische Morgenluft meine Wangen kühlte, kehrte auch die Besinnung zurück. Ich erblickte den Wächter – Gott segne ihn! Das war doch ein wirklicher, handgreiflicher Wächter, und keines der täuschenden Spukbilder der Nacht. Ich blickte auf den runden Turm; wie massiv, ehrwürdig und unverrückbar sah er aus,
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