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18 Geisterstories

18 Geisterstories

Titel: 18 Geisterstories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kluge
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mein Blick auf den Tür­pfos­ten ge­ra­de ge­gen­über, und ganz lei­se, aber rhyth­misch und takt­mä­ßig, sah ich den Kirch­hofs­schlüs­sel, wel­chen ich dort­hin ge­hängt hat­te, sich in ab­ge­mes­se­nen Schwin­gun­gen hin und her be­we­gen. Zu­wei­len woll­ten die­se fast auf­hö­ren, aber dann er­hielt der Schlüs­sel einen Schlag wie von ei­ner un­sicht­ba­ren Hand, und die Schwin­gun­gen wur­den so stark, daß sie ihn fast im Krei­se her­um­zu­dre­hen schie­nen. Ich blieb einen Au­gen­blick mit of­fe­nem Mun­de und weit auf­ge­ris­se­nen Au­gen ste­hen, aber der Schlüs­sel fuhr fort, sich so me­cha­nisch wie das Pen­del ei­ner Uhr zu schwin­gen. Ein eis­kal­ter Schau­er über­lief mei­nen Rücken, und der Angst­schweiß perl­te von mei­ner Stirn. End­lich ver­moch­te ich es nicht län­ger aus­zu­hal­ten; ich schoß zur Tü­re, er­griff den Schlüs­sel mit bei­den Hän­den, leg­te ihn auf mei­nen Schreib­tisch und be­deck­te ihn mit Lo­ders Ta­feln und ein paar an­de­ren Fo­li­an­ten. Erst dann schöpf­te ich wie­der Atem.
    Die Lam­pe war im Be­griff zu er­lö­schen, und ich hat­te kein Öl mehr. Dann und wann blak­te die Flam­me hoch em­por und warf einen un­si­che­ren Flacker­schein über mein Ge­mach. Die Schat­ten wur­den bald lang, bald kurz; es war, als ob sie leb­ten und in schwan­ken­den Ge­stal­ten durch das Zim­mer husch­ten. Mit fie­bern­der Hast ent­klei­de­te ich mich, lösch­te die Lam­pe aus und sprang ins Bett, um mei­ne Vi­sio­nen zu er­sti­cken.
    Aber hier schie­nen sie erst recht ins Le­ben zu er­wa­chen. Bald war es mir, als stün­de ich auf dem Kirch­ho­fe und hör­te die Wet­ter­fah­ne der Kir­che durch die Luft knar­ren. Dann be­fand ich mich in der Müh­le; ich sah ih­re vie­len Trieb- und Kamm­rä­der sich durch­ein­an­der­dre­hen und hat­te Mü­he, ih­nen aus­zu­wei­chen. Dann kam ich in einen end­los lan­gen, nied­ri­gen und stock­fins­tern Gang, wo mich et­was Un­be­stimm­tes ver­folg­te, und in wil­des­tem Ent­set­zen rann­te ich vor­wärts, bis ich in einen bo­den­lo­sen Ab­grund zu stür­zen schi­en, wäh­rend ei­ne rie­si­ge Last auf mir drück­te. Dann fuhr ich aus dem Halb­schlum­mer em­por, horch­te und späh­te um­her und ver­sank wie­der in einen un­ru­hi­gen Schlaf. Plötz­lich hör­te ich et­was von oben auf mei­ne De­cke her­ab­fal­len. Surr, surr, schnurr er­klang es über mei­nem Kopfe. Es war ei­ne große Brumm­flie­ge, wel­che in mei­ner Stu­be ihr Win­ter­quar­tier auf­ge­schla­gen und wel­che die star­ke Ofen­wär­me er­weckt hat­te, so daß sie jetzt in großen Krei­sen durch mein Zim­mer flog. Bald war sie dicht vor mei­nem Oh­re, bald hör­te ich sie in ei­ni­ger Ent­fer­nung, dann kam sie wie­der zu­rück, surr­te über mein Ge­sicht, schnurr­te un­ter der Zim­mer­de­cke hin, stieß an den Ka­chel­ofen, fiel auf die Die­le, wo sie im Stau­be her­um­schwirr­te, flog dann wie­der dicht über mir hin, surr, surr, schnurr – es war nicht mehr aus­zu­hal­ten. End­lich hör­te ich sie in ei­ne Tü­te mit Pu­der­zu­cker krie­chen, wel­che Hans auf der Fens­ter­schwel­le hat­te lie­gen las­sen; ich sprang auf, mach­te die Tü­te zu, aber sie schnurr­te drin­nen fast är­ger als zu­vor. Wie­der ging ich zu Bett und ver­such­te zu schla­fen, aber es woll­te nicht recht ge­lin­gen. Ich be­gann zu zäh­len, erst bis Hun­dert, dann bis Tau­send, und end­lich emp­fand ich je­nes Ge­fühl der Er­mat­tung, wel­ches dem ei­gent­li­chen Schla­fe vor­her­zu­ge­hen pflegt. Ich be­fand mich in ei­nem schö­nen Gar­ten; der Gold­re­gen schim­mer­te, die Sy­rin­gen duf­te­ten, und die zar­ten ro­sen­ro­ten Blät­ter der Ap­fel­blü­ten flat­ter­ten wie Schmet­ter­lin­ge durch die Luft, wenn der laue Früh­lings­wind sie her­ab­weh­te. Ne­ben mir ging ein schö­nes, jun­ges Mäd­chen; ich kann­te sie gut, und doch war es mir un­mög­lich, mich auf ih­ren Na­men oder auch nur dar­auf zu be­sin­nen, wie wir da­zu ge­kom­men sein, mit­ein­an­der um­her­zu­wan­dern. Dann und wann stand sie still, um ei­ne früh auf­ge­blüh­te Blu­me oder ein bun­tes Kä­fer­chen auf ei­nem Blat­te zu be­wun­dern. So schrit­ten wir

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