18 Geisterstories
mein Blick auf den Türpfosten gerade gegenüber, und ganz leise, aber rhythmisch und taktmäßig, sah ich den Kirchhofsschlüssel, welchen ich dorthin gehängt hatte, sich in abgemessenen Schwingungen hin und her bewegen. Zuweilen wollten diese fast aufhören, aber dann erhielt der Schlüssel einen Schlag wie von einer unsichtbaren Hand, und die Schwingungen wurden so stark, daß sie ihn fast im Kreise herumzudrehen schienen. Ich blieb einen Augenblick mit offenem Munde und weit aufgerissenen Augen stehen, aber der Schlüssel fuhr fort, sich so mechanisch wie das Pendel einer Uhr zu schwingen. Ein eiskalter Schauer überlief meinen Rücken, und der Angstschweiß perlte von meiner Stirn. Endlich vermochte ich es nicht länger auszuhalten; ich schoß zur Türe, ergriff den Schlüssel mit beiden Händen, legte ihn auf meinen Schreibtisch und bedeckte ihn mit Loders Tafeln und ein paar anderen Folianten. Erst dann schöpfte ich wieder Atem.
Die Lampe war im Begriff zu erlöschen, und ich hatte kein Öl mehr. Dann und wann blakte die Flamme hoch empor und warf einen unsicheren Flackerschein über mein Gemach. Die Schatten wurden bald lang, bald kurz; es war, als ob sie lebten und in schwankenden Gestalten durch das Zimmer huschten. Mit fiebernder Hast entkleidete ich mich, löschte die Lampe aus und sprang ins Bett, um meine Visionen zu ersticken.
Aber hier schienen sie erst recht ins Leben zu erwachen. Bald war es mir, als stünde ich auf dem Kirchhofe und hörte die Wetterfahne der Kirche durch die Luft knarren. Dann befand ich mich in der Mühle; ich sah ihre vielen Trieb- und Kammräder sich durcheinanderdrehen und hatte Mühe, ihnen auszuweichen. Dann kam ich in einen endlos langen, niedrigen und stockfinstern Gang, wo mich etwas Unbestimmtes verfolgte, und in wildestem Entsetzen rannte ich vorwärts, bis ich in einen bodenlosen Abgrund zu stürzen schien, während eine riesige Last auf mir drückte. Dann fuhr ich aus dem Halbschlummer empor, horchte und spähte umher und versank wieder in einen unruhigen Schlaf. Plötzlich hörte ich etwas von oben auf meine Decke herabfallen. Surr, surr, schnurr erklang es über meinem Kopfe. Es war eine große Brummfliege, welche in meiner Stube ihr Winterquartier aufgeschlagen und welche die starke Ofenwärme erweckt hatte, so daß sie jetzt in großen Kreisen durch mein Zimmer flog. Bald war sie dicht vor meinem Ohre, bald hörte ich sie in einiger Entfernung, dann kam sie wieder zurück, surrte über mein Gesicht, schnurrte unter der Zimmerdecke hin, stieß an den Kachelofen, fiel auf die Diele, wo sie im Staube herumschwirrte, flog dann wieder dicht über mir hin, surr, surr, schnurr – es war nicht mehr auszuhalten. Endlich hörte ich sie in eine Tüte mit Puderzucker kriechen, welche Hans auf der Fensterschwelle hatte liegen lassen; ich sprang auf, machte die Tüte zu, aber sie schnurrte drinnen fast ärger als zuvor. Wieder ging ich zu Bett und versuchte zu schlafen, aber es wollte nicht recht gelingen. Ich begann zu zählen, erst bis Hundert, dann bis Tausend, und endlich empfand ich jenes Gefühl der Ermattung, welches dem eigentlichen Schlafe vorherzugehen pflegt. Ich befand mich in einem schönen Garten; der Goldregen schimmerte, die Syringen dufteten, und die zarten rosenroten Blätter der Apfelblüten flatterten wie Schmetterlinge durch die Luft, wenn der laue Frühlingswind sie herabwehte. Neben mir ging ein schönes, junges Mädchen; ich kannte sie gut, und doch war es mir unmöglich, mich auf ihren Namen oder auch nur darauf zu besinnen, wie wir dazu gekommen sein, miteinander umherzuwandern. Dann und wann stand sie still, um eine früh aufgeblühte Blume oder ein buntes Käferchen auf einem Blatte zu bewundern. So schritten wir
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