18 Geisterstories
an. Er kramte einen Spiegel hervor und hielt ihn Opa vor den Mund. Danach zitterten seine Finger noch viel schlimmer.
»Siehst du das?« fragte er. »Der Spiegel ist klar. Das bedeutet, daß du schon vor längerer Zeit deinen letzten Schnaufer getan hast.«
Opa schüttelte den Kopf. »Kümmere dich um deinen eigenen Schnaufer! Du hast eine Fahne, die das stärkste Muli umhaut.«
»Na warte, dir vergeht die Sturheit noch!« Doc holte einen Wisch aus der Tasche. »Da, sieh dir das an!«
»Was ist das?«
»Dein Totenschein.« Doc deutete mit dem Zeigefinger. »Lies mal, was in der Zeile da steht. Todesursache: Herzstillstands Und das ist amtlich. Das gilt vor Gericht!«
»Bitte – geh ruhig hin und versuch dein Glück!« spottete Opa. »Was meinst du wohl, wem der Richter mehr glaubt – mir oder deinem Fetzen Papier?«
Doc schluckte, und seine Augen traten noch ein Stück aus ‘m Kopf. Er schaffte es kaum, den Totenschein wegzustecken, so zitterten ihm die Hände.
»Ist Ihnen nicht ganz wohl?« fragte Pa.
»Ich fühl mich hundeelend«, stöhnte Doc. »Ich fahr jetzt zurück in die Praxis und leg mich ‘ne Weile hin.« Er packte seine Tasche und lief zum Auto, ohne sich noch ‘n einziges Mal umzudrehen.
»Bleib aber nicht zu lang liegen!« rief ihm Opa nach. »Sonst kommt einer und schreibt ‘n Wisch, wo drauf steht: Todesursache – Suff!‹«
Mittags hatte keiner von uns Appetit. Keiner außer Opa, wohlgemerkt.
Der setzte sich an den Tisch und verdrückte nacheinander Bohnen, Maisgrütze, zwei Portionen Kutteln und zwei Riesenstücke Rhabarberstrudel mit Vanillesoße.
Ma ist im allgemeinen mächtig stolz, wenn die Leute in ihr Essen reinhauen, aber Opa schien sie’s heute nicht zu gönnen. Sobald er fertig war und wieder raus auf die Veranda ging, stapelte sie das Geschirr auf der Anrichte und befahl uns, den Abwasch zu übernehmen. Sie verschwand kurz im Schlafzimmer und kam mit Umschlagtuch und Handtasche wieder.
»Was hast du denn vor?« wollte Pa wissen.
»Ich geh in die Kirche.«
»Am hellichten Donnerstag?«
»Bis Sonntag kann ich nicht warten«, erklärte Ma. »Vor allem nicht, wenn die Hitze weiter anhält. Du hast selber die Nase gerümpft, als Opa zum Essen reinkam.«
»Das war Opa?« Pa hob die Schultern. »Ich dachte, die Kutteln hätten einen leisen Stich.«
»Meine Kutteln? Nie und nimmer!«
»Und was hast du jetzt vor?«
»Es gibt nur noch eins – alles in die Hände des Herrn legen!«
Und weg war sie. Susie und ich machten uns an den Abwasch, während Pa mit einer mächtig düsteren Miene durch den Hinterausgang verschwand. Ich sah durchs Küchenfenster, wie er die Schweine fütterte. Man merkte genau, daß er mit seinen Gedanken ganz woanders war.
Susie und ich trollten uns auf die Veranda und behielten Opa im Auge.
Ma hatte recht mit der Hitze. Man kam sich vor wie in einem Höllenbackofen. Opa schien nichts zu merken, aber mir fiel auf, daß er ganz schön schier roch.
»Guck die vielen Fliegen, die um ihn rumschwirren!« sagte Susie zu mir.
»Bscht!«
Aber die Schmeißfliegen surrten so laut, daß wir kaum verstehen konnten, was Opa sagte. »He, Kinder!« rief er. »Kommt doch ‘n Weilchen her!«
»Die Sonne brennt so arg«, widersprach Susie.
»Find’ ich aber gar nicht.« Opa hatte nicht mal einen Schweißtropfen auf der Stirn.
»Und die Schmeißfliegen!«
»Die tun mir nix.« Ein dicker Brummer landete mitten auf seiner Nase, doch Opa zuckte nicht mal zusammen.
Susie machte ein ängstliches Gesicht. »Du, der ist wirklich tot«, flüsterte sie.
»Sprich lauter, Kind!« mahnte Opa. »Es gehört sich einfach nicht, so rumzunuscheln.«
In diesem Moment bog Ma mit Reverend Peabody im Schlepp von der Straße her zu unserm Haus ab. So heiß es war, sie hatte ganz schön Fahrt drauf. Der Hochwürden stöhnte und schnaufte, aber sie blieb erst dicht vor der Veranda
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