18 Geisterstories
Halleluja auf den Lippen …«
»Ich war noch nie musikalisch«, widersprach Opa. »Und mir wird schon schwindlig, wenn ich auf ‘ner Lei ter steh und das Dach von unserm Lokus neu teeren muß.« Er schüttelte den Kopf. »Ich will Ihnen mal was sagen, Hochwürden! Wenn Sie glauben, daß es da droben so verdammt schön ist, warum gehn Sie dann nicht selber rauf?«
In diesem Moment kam Ma wieder ins Freie. »Tut mir leid, uns ist das Zitronenwasser ausgegangen«, sagte sie. »Alles, was ich auftreiben konnte, war ‘n Schluck Whisky. Ich weiß ja, wie Sie über diese Dinge denken, Herr Hochwürden, aber …«
Der Reverend riß ihr die Flasche aus der Hand, setzte sie an und nahm einen kräftigen Zug. »Sie sind eine bra ve Frau«, sagte er dann zu Ma. »Der Herr wird es Ihnen vergelten.« Damit eilte er davon.
»He, halt!« rief Ma ihm nach. »Und was geschieht mit Opa?«
»Seien Sie ohne Furcht, Tochter«, antwortete der Reverend über die Schulter. »Wir müssen auf die Kraft des Gebets vertrauen.«
Dann war er am Ende der Straße verschwunden, und nur eine Staubfahne blieb zurück.
»Der hat doch glatt die Flasche mitgenommen!« murmelte Opa. »Wenn ihr mich fragt, so ist dem sein einziger Gott der Whisky.«
Ma schaute ihn an, dann brach sie in Tränen aus und stürzte ins Haus.
»Was hat sie nun schon wieder?« wollte Opa wissen.
»Laß sie mal!« entgegnete ich. »Susie, bleib hier bei Opa und verscheuch ihm die Fliegen! Ich muß was erledigen.«
Und das stimmte.
Noch bevor ich reinging, hatte ich einen Plan gefaßt. Ich konnte es einfach nicht mitansehn, wie Ma flennte. Sie stand in der Küche, klammerte sich an Pa und schluchzte: »Was sollen wir machen? Was sollen wir bloß machen?«
Pa tätschelte ihre Schulter. »Aber, Addie, nun fang dich wieder! Lange kann das nicht mehr dauern.«
»Lange halt ich das auch nicht mehr durch«, jammerte Ma. »Wenn Opa nicht bald Vernunft annimmt, sitzt er eines schönen Morgens als Skelett am Frühstückstisch. Und was werden die Nachbarn denken, wenn sie ein Gerippe auf meiner schönen Veranda entdecken? Richtig genieren muß man sich.«
»Laß nur, Ma«, warf ich ein. »Ich hab’ eine Idee.«
Ma hörte zu flennen auf. »Was für eine Idee?«
»Ich geh rüber in die Geisterschlucht.«
»In die Geisterschlucht?« Ma wurde so blaß, daß sogar ihre Sommersprossen verschwanden. »Kommt nicht in Frage, mein Junge …«
»Es ist unsere letzte Chance«, erklärte ich. »Und vielleicht hilft es was.«
Pa holte tief Luft. »Hast du denn gar keine Angst?«
»Nicht, solange es draußen hell bleibt«, sagte ich. »Nun macht euch mal keine Sorgen. Bis zum Abend bin ich längst zurück.«
Damit rannte ich durch den Hinterausgang.
Ich kletterte über den Zaun und flitzte zum Bach. Nur einmal hielt ich kurz an und holte mein Sparschwein aus dem unkrautüberwucherten Versteck zwischen den Uferfelsen. Dann watete ich durchs Wasser und lief weiter zum Hochwald.
Sobald ich die Tannen erreicht hatte, ließ ich ein wenig Dampf ab, um mich nicht zu verirren. Es gab keine Wege, weil hier selten einer vorbeikam. Die Leute machten sogar tagsüber einen großen Bogen um den Wald – er war einfach zu düster und einsam. Wie ausgestorben lag er da. Nichts bewegte sich im Unterholz, und sogar die Vögel schwiegen.
Aber ich kannte mich aus. Ich mußte bloß den Hügelkamm überqueren und den Hang auf der anderen Seite wieder runterlaufen. Ganz unten, an der finstersten, einsamsten Stelle lag die Geisterschlucht.
Und in der Geisterschlucht gab es eine Felshöhle.
Und in der Felshöhle wohnte die Waldhexe.
Wenigstens hatte ich gehört, daß sie da wohnte. Als ich mich jedoch auf Zehenspitzen an das große schwarze Loch ranpirschte, fand ich keine Menschenseele. Bloß die Schatten krochen von allen Seiten auf mich zu.
Ehrenwort, es war echt gruselig. Ich spürte ein Kribbeln in
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