18 Geisterstories
stehen.
»Sieh an, der Herr Hochwürden!« rief Opa. »Wie geht’s immer?«
Reverend Peabody starrte ihn an. Er machte den Mund auf, brachte aber keinen Ton raus.
»Was ist?« fragte Opa. »Hat es Ihnen die Sprache verschlagen?« Der Reverend lächelte wie ein Stinktier, das eine Hummel verschluckt hat.
»Kann mir’s schon denken. Bei der Hitze kriegt man eine ausgedörrte Kehle.« Er wandte sich an Ma. »Los, Addie, hol dem Herrn Hochwürden eine kleine Erfrischung!«
Ma ging ins Haus.
»So«, sagte Opa, »nun machen Sie sich’s mal bequem.«
Der Reverend schluckte schwer. »Eigentlich bin ich nicht zu einem Plauderstündchen hier.«
»Weshalb nehmen Sie dann den langen Weg auf sich?«
Wieder schluckte der Reverend. »Nach allem, was ich von Addie und Doc hörte, mußte ich selbst nach dem Rechten sehen.« Er starrte wie gebannt auf die Fliegen, die Opa umschwirrten. »Aber jetzt wär’s mir lieber, ich hätt’ mich auf ihr Wort verlassen.«
»Was soll ‘n das heißen?«
»Das soll heißen, daß ein Mann in deinem Zustand nicht mehr das Recht hat, Fragen zu stellen. Wenn der Herr dich ruft, hast du ihm freudig zu folgen!«
»Ich hab’ kein Rufen gehört«, erklärte Opa. »Aber mein Gehör taugt auch nicht mehr viel.«
»Den Eindruck hatte auch der Doc. Du scheinst nämlich nicht zu merken, daß dein Herz zu schlagen aufgehört hat.«
»Vielleicht tickt es ‘ne Spur langsamer als früher. Aber das ist ganz natürlich, wenn man neunzig auf ‘m Buckel hat.«
»Und dir ist nie der Gedanke gekommen, daß diese neunzig ganz schön was darstellen? Du hast sehr lang gelebt, Opa. Findest du es nicht mal an der Zeit, den Löffel wegzulegen? Wie heißt es in der Bibel so trefflich? Der Herr gibt, und der Herr nimmt!«
Opa setzte wieder seine streitbare Miene auf. »Also, mich nimmt er jedenfalls nicht.«
Reverend Peabody kramte ein großes Taschentuch aus seinen Jeans und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Du fürchtest dich doch nicht etwa? Schöner kannst du’s gar nicht kriegen als da droben. Alle Sorgen und alle Mühsal werden von dir genommen. Ganz zu schweigen davon, daß du aus dieser Prügelhitze hier fortkommst.«
»Ich spür sie kaum.« Opa strich sich über den Schnauzer. »Ich spür überhaupt kaum was.«
Der Reverend musterte ihn scharf. »Fühlen sich deine Hände steif an?«
Opa nickte. »Und nicht nur die.«
»Dachte ich es mir doch! Weißt du auch, was das bedeutet? Rigor mortis!«
»Ich kenn kein Rigger Mortis«, erklärte Opa. »Das Rheuma sitzt mir in den Knochen, das ist alles.«
Wieder wischte sich der Reverend den Schweiß von der Stirn. »Bei dir braucht man vielleicht Überredungskünste!« stöhnte er. »Du scherst dich weder um die Ansicht eines gelehrten Doktors noch um das Wort des Herrn. Weißt du was? Du bist der sturste alte Hammel, den ich je erlebt hab’.«
»Tja, ich komm aus Missouri«, entgegnete Opa mit Würde. »Und die Leute da wollen handfeste Beweise sehn, bevor sie was glauben.«
Der Reverend steckte sein Tuch weg. Es war klatschnaß. Mit einem tiefen Seufzer schaute er Opa in die Augen.
»Manche Dinge muß man einfach so glauben!« sagte er. »Mir will auch nicht in den Schädel, daß du hier rumsitzt, anstatt dir die Gänseblümchen von unten zu begucken, und ich muß es trotzdem glauben. Ich schwöre dir, du hast überhaupt keinen Grund, hier ein Theater aufzuführen. Mag sein, daß du dich dagegen sperrst, im Grab zu liegen. Aber – Asche zu Asche, Staub zu Staub, das ist bloß so ein Spruch! Du brauchst dir das nicht so zu denken, daß du jetzt die ganze Ewigkeit unter der Erde liegst. Während deine Gebeine auf dem Friedhof ruhen, fliegt deine Seele davon. Jawohl, in die Höhe, geradewegs in die Arme des Herrn. Und das wird ein großer Moment, wenn du da oben schwebst, frei wie ein Vogel, inmitten der himmlischen Heerscharen, mit ‘ner achtzehnkarätigen Goldharfe und einem
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