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18 Geisterstories

18 Geisterstories

Titel: 18 Geisterstories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kluge
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Fic­ti­on‹ er­schie­nen ist – ei­ne Geis­ter­ge­schich­te par ex­cel­lence, die oben­drein den An­spruch er­he­ben darf, ein großes his­to­ri­sches Er­eig­nis kor­rekt zu re­ka­pi­tu­lie­ren … nur eben ein we­nig an­ders, als man es aus den Ge­schichts­bü­chern kennt, ein we­nig geis­ter­haf­ter, atem­lo­ser, aber der Grö­ße die­ses wahr­haft um­wäl­zen­den his­to­ri­schen Au­gen­blicks durch­aus an­ge­mes­sen.
     
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    Der Geist des Ge­ne­rals saß am Tisch im Kom­man­deur­zelt und un­ter­zeich­ne­te die De­pe­sche mit dem Krat­zen ei­nes Fe­der­kiels. Der Geist des Co­lo­nels stand ihm ge­gen­über und sah zu. Über­all in Ame­ri­ka, aus­ge­nom­men in den See­len ge­wis­ser in­brüns­ti­ger We­sen, war es der 19. Ok­to­ber 1974. Für je­ne Au­ßer­or­dent­li­chen je­doch war es der 19. Ok­to­ber 1781. Sie be­fan­den sich auf dem Schlacht­feld bei Yorktown. So­eben hat­ten die Bri­ten vor ih­nen ka­pi­tu­liert. In je­dem Jahr brach­ten ih­re un­s­terb­li­chen Er­in­ne­run­gen ih­nen die­sen Tag in der Ge­schich­te zu­rück, und ih­re Geis­ter such­ten er­neut den Ort des Ge­sche­hens auf, um es noch ein­mal zu er­le­ben.
    Wa­shing­ton roll­te das Per­ga­ment; sei­ne mäch­ti­ge Faust wirk­te un­ge­eig­net für ei­ne sol­che Auf­ga­be, die ei­nem Se­kre­tär ge­bühr­te, aber vollen­de­te sie rasch. Er blick­te auf zu Tilgh­man. Der Co­lo­nel war kein Mann, den ir­gend je­mand auf den ers­ten Blick als klein be­zeich­net hät­te; er war mit­tel­groß und be­saß brei­te Schul­tern, wuch­tig und fest. Doch ne­ben Ge­or­ge Wa­shing­ton schi­en er klein zu sein. Wie die meis­ten Men­schen. Denn Wa­shing­tons Grö­ße kam aus sei­nem In­nern und fand in sei­nem Rie­sen­wuchs eher zu­fäl­lig einen an­ge­mes­se­nen Aus­druck. Die­se Grö­ße, nicht sei­ne kör­per­li­che Ge­stalt, ließ an­de­re Men­schen ver­gleichs­wei­se ge­rin­ger wir­ken, wie im­mer auch ih­re Kör­per­ma­ße sein moch­ten.
    Tilgh­man war mit die­ser Ver­hält­nis­mä­ßig­keit ver­traut. Jah­re­lang war er Wa­shing­tons Ad­ju­tant und Se­kre­tär ge­we­sen. Doch die Kennt­nis um sei­nes Vor­ge­setz­ten Über­le­gen­heit hat­te sei­ner ei­ge­nen In­te­gri­tät nie­mals ge­scha­det oder auch nur an sie rüh­ren kön­nen. Viel­mehr hat­te er die Re­vo­lu­ti­on mit kla­rem Ver­stand eben um Wa­shing­tons Grö­ße wil­len durch­ge­foch­ten, die er als der re­vo­lu­tio­nären Sa­che wür­dig emp­fand. Um die­se Sa­che, was ih­re mi­li­tä­ri­sche und po­li­ti­sche Kraft be­traf, stand es schlecht. Ih­re ein­zi­ge Stär­ke war ih­re furchter­re­gen­de Ge­rech­tig­keit. Wa­shing­ton war de­ren Ver­kör­pe­rung. Er ver­kör­per­te sie und wür­de sie im­mer ver­kör­pern, gleich­gül­tig, so war der Co­lo­nel über­zeugt, un­ter wel­chen Um­stän­den. Ge­ne­ral Wa­shing­ton war zu­ver­läs­sig. Voll und ganz.
    Zu al­len an­de­ren Er­schei­nun­gen der Re­vo­lu­ti­on hat­te Co­lo­nel Tilgh­man stets ei­ne nüch­ter­ne Hal­tung be­zo­gen. Er hat­te je­der­zeit ge­wußt, daß die Ame­ri­ka­ner ver­lie­ren konn­ten, aber die­se Mög­lich­keit als das ein­zi­ge vor­aus­seh­ba­re Übel be­trach­tet und als Ge­fahr, die sie auf sich ge­nom­men hat­ten. Krieg war Krieg. Und nun hat­ten sie ge­siegt.
    Er stand und sah zu, das Kinn auf die Brust ge­neigt. Und da er jung war und im Be­sitz ei­nes leb­haf­ten und ge­nau­en Er­in­ne­rungs­ver­mö­gens, er­leb­te er in die­sen we ni­gen Au­gen­bli­cken ei­ne Rei­he an­de­rer Mo­men­te wie der, wäh­rend der er sei­nen Vor­ge­setz­ten be­ob­ach­tet hat­te. In West Point, am Mor­gen, als Wa­shing­ton kam, um mit Ar­nold zu früh­stücken – und Ar­nold war fort, hat­te hin­ter sich in der Luft den Ge­stank von Ver­rat zu­rück­ge­las­sen. In Ne­w­bur­gh, als Wa­shing­ton ge­dul­dig mit ge­mei­nen, aber bit­ter not­wen­di­gen Män­nern sprach, die zu­gleich hoff­ten und fürch­te­ten, daß ihr ge­mein­sa­mes Ge­wicht ihn ver­der­be. In Tren­ton im Sturm aus Schnee und Ha­gel aus Blei. Bei Val­ley For­ge in ei­ner Stil­le aus Schnee und

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