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18 Geisterstories

18 Geisterstories

Titel: 18 Geisterstories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kluge
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Hun­ger. Es han­del­te sich in der Tat um ein gan­zes künf­ti­ges Buch der ame­ri­ka­ni­schen Ge­schichts­schrei­bung, das dem Co­lo­nel durch den Kopf ging, aber für ihn war das al­les die Ge­gen­wart – in sol­chem Ma­ße hat­te er die­sen Krieg als ein zu­sam­men­hän­gen­des Er­eig­nis er­fah­ren. An die­sem Tag des Sie­ges gab es kei­ne Ver­gan­gen­heit. Hier war die ge­sam­te Re­vo­lu­ti­on. Sie war die Luft – frisch, re­ge, ver­hei­ßungs­voll –, die Wa­shing­ton und er at­me­ten.
    Wa­shing­ton streck­te die De­pe­sche über den Tisch hin. Tilgh­man trat vor, um sie ent­ge­gen­zu­neh­men. Da än­der­te Wa­shing­ton sei­ne Ab­sicht und er­hob sich, rag­te ge­wich­tig em­por, als er stand, so daß sein an­ge­grau­tes ro­tes Haar, das wo­chen­lang des Pu­ders ent­beh­ren muß­te, fast ans Zelt­dach rühr­te. Sei­ne Feld­klei­dung war zer­knit­tert und be­schmutzt, und an sei­nem Kinn sah man hel­le Bart­stop­peln. Hoch­ge­wach­sen und schmut­zig war er, und nun muß­te er et­was tun und sa­gen, das den wei­te­ren Ver­lauf der Ge­schich­te­be­stimm­te. Er tat es und sag­te es – er übergab die De­pe­sche sei­nem Ad­ju­tan­ten, wel­cher der Bo­te der Ge­schich­te war, und sprach sein Wort in kla­rem förm­li­chen Ton­fall aus. »Zum Kon­greß, Co­lo­nel.« Co­lo­nel Tilgh­man nahm die Rol­le ent­ge­gen. Die Bot­schaft von ei­ner großen Wen­de ›im Lauf der Welt­ge­schich­te‹ war in sei­nen Hän­den.
    »Ja­wohl, Sir«, sag­te er. »Zum Kon­greß.«
    Und die Kür­ze der Äu­ße­rung, die ei­ne so ge­wal­ti­ge Be­deu­tung be­saß, er­hei­ter­te sie bei­de. Sie lä­chel­ten. Ih­re vom Wet­ter ge­zeich­ne­ten Ge­sich­ter zeig­ten wie für einen kur­z­en Mo­ment ge­öff­ne­te Fens­ter et­was von der Er­leich­te­rung, die an je­nem Mor­gen auf dem Schlacht­feld die Her­zen al­ler Sol­da­ten der Kon­ti­nen­t­alar­mee er­füll­te. »Rei­tet, Co­lo­nel«, sag­te Ge­or­ge Wa­shing­ton un­ver­än­dert klar und ru­hig, doch nicht län­ger ganz so förm­lich.
    »Ja­wohl, Sir«, er­wi­der­te der Co­lo­nel noch­mals. Er dreh­te sich um und schritt hin­aus.
    Das Schlacht­feld von Yorktown im Jah­re 1974, ei­ne Na­tio­na­le Ge­denk­stät­te, lag von Men­schen des Jah­res 1974 na­he­zu ver­las­sen, aber lieb­lich und duf­tig in der herbst­li­chen Son­ne. Ein paar Au­tos be­fuh­ren die Stra­ße, ei­ni­ge klei­ne Grup­pen von Be­su­chern schlen­der­ten durchs Gras. Hier wa­ren der lan­ge Frie­de, die fest­ge­hal­te­ne Eh­re. Nichts da­von war sicht­bar für den Geist von Co­lo­nel Tench Tilgh­man, den Ad­ju­tan­ten und Se­kre­tär Ge­or­ge Wa­shing­tons. In ihm stak das Le­ben des Jah­res 1781 und schuf die Welt rings um ihn. Er sah das Feld der Ent­schei­dungs­schlacht. Die Son­ne von 1781 schi­en auf sein Haupt, und das Erd­reich von 1781 knirsch­te un­ter sei­nen Stie­feln.
    Über­all in sei­ner Sicht­wei­te wa­ren Zel­te und La­ger­plät­ze. Sol­da­ten in vie­ler­lei Rö­cken ström­ten um­her. Die Fran­zo­sen tru­gen ih­re hei­mat­li­chen tra­di­tio­nel­len Uni­for­men in hel­len Far­ben; man­che Ame­ri­ka­ner sta­ken in ver­bli­che­nem Blau und Loh­gelb, an­de­re wa­ren in aben­teu­er­lich lum­pi­gen Auf­putz ge­klei­det. Dort wa­ren die Grä­ber der auf den Schan­zen 9 und 10 ge­fal­le­nen Män­ner – zwei fla­che Hü­gel fri­scher Er­de, ei­ner für die Fran­zo­sen, ei­ner für die Ame­ri­ka­ner; doch die­se Grab­hü­gel wa­ren nicht von­ein­an­der un­ter­scheid­bar. Sie sa­hen gänz­lich gleich aus. Und dort wa­ren die Ka­no­nen, die Werk­zeu­ge der vor­an­ge­gan­ge­nen Be­la­ge­rung, die den Feind nie­der­ge­zwun­gen hat­te. Von der fran­zö­si­schen Flot­te stamm­ten sie, und zum Be­weis da­für, daß sie Schiffs­waf­fen wa­ren, be­stand ih­re Zier (ne­ben dem Wap­pen von Bour­bon) aus klei­nen, wun­der­schö­nen schmie­de­ei­ser­nen Del­phi­nen an ih­ren La­fet­ten. Ja, die Ka­no­nen. Um die hal­be Welt wa­ren sie ge­kom­men, da­mit man die gan­ze Welt ver­än­de­re. Al­le die Tau­sen­de von Män­nern auf dem Schlacht­feld des Jah­res 1781 wuß­ten um den Sieg. Ein paar tau­send Men­schen

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