18 Geisterstories
mußten sie gesehen haben, denn sie blieben abrupt stehen, bevor ich mit meiner Hand die Schulter des dritten Geistes berühren konnte. »Guthrie, sind Sie in Ordnung?« fragte ich flüsternd. Ich weiß, man darf einen Schauspieler vor seinem Auftritt nicht erschrecken, es war sehr töricht von mir, aber die Erinnerung an Monicas panische Angst und die bange Frage, wo Guthrie sich wohl versteckt hatte, machten mich völlig kopflos.
In diesem Augenblick hörte ich die Stimme Horatios:
»O seht, mein Prinz, er kommt.«
Guthrie entzog sich sogleich meinem leichten Griff, trat auf die Bühne, ohne sich auch nur umzudrehen – und ließ mich schaudernd zurück. Denn bei der Berührung seines rauhen, steifleinernen Mantels hatte ich anstelle von Guthries breiten Schultern nur etwas Körperloses gespürt. Ich versuchte mir einzureden, daß es an Guthries Umhang gelegen haben könne, der bei jeder Bewegung ein wenig von seinen Schultern wegstand. Irgend etwas in dieser Art mußte ich mir ja einreden. Dann drehte ich mich um. John McCarthy und F.F. standen vor dem Garderobentisch, zwei dunkle Gestalten, die mir einen neuen Schreck versetzten, was wohl auf meine überspannten Nerven zurückzuführen war. Hinter den Kulissen verborgen beobachtete ich das Geschehen auf der Bühne.
Der Prinzipal lag auf den Knien, während er seinen Degen mit dem Heft nach oben wie ein Kreuz hielt und seine lange Rede begann:
»Engel und Boten Gottes, steht uns bei!« …
Und natürlich hatte der Geist seinen Umhang so eng um sich geschlungen, daß man nicht sehen konnte, was darunter verborgen war. Das kleine grüne Licht in seinem Helm war noch immer nicht eingeschaltet. Für mich war es schrecklich, daß der kleine theatralische Effekt bei der heutigen Vorstellung fehlte, weil ich mir nichts sehnlicher wünschte, als Guthries verwüstetes altes Gesicht zu sehen, um endlich Gewißheit zu erlangen. Gleichzeitig nistete in meiner albernen Fantasie die bizarre Vorstellung, wie Guthries streitsüchtiger Schwiegersohn verärgert die um ihn Versammelten anzischte, daß Gilbert Usher so eifersüchtig auf seinen Schwiegervater sei, daß er ihm nicht einmal erlaube, sein Gesicht auf der Bühne zu zeigen.
In der folgenden Szene, wo der Geist allein mit Hamlet auf der Bühne ist, herrschte fünf Sekunden lang vollkommene Finsternis. Erst dann sprach der Geist seine ersten Verse:
»Hör an!«
Und:
»Schon naht sich meine Stunde,/Da ich den schwefligen, qualvollen Flammen/Mich übergeben muß.«
Falls irgend jemand von uns befürchtet hatte, der Geist könne seinen Text vergessen haben oder sei so betrunken, daß er nur noch lallte, so waren diese Sorgen im Nu verflogen. Die Verse wurden mit größter Autorität und Wirkung gesprochen. Ich war ziemlich sicher, daß ich Guthries eigene Stimme hörte. Er spielte an diesem Abend sogar besser als sonst und interpretierte die Rolle noch distanzierter, weltferner, allem Erdenleben hoffnungslos entfremdet.
Im Zuschauerraum herrschte Totenstille. Ich spürte, wie Francis Farley Scott, der seine Schulter an mich preßte, vor Angst zitterte.
Jedes Wort, das der Geist sprach, war wie ein anderer Geist, erhob sich in die Luft und hing schwebend über uns, bevor es in die Ewigkeit entschwand. »Ich bin Deines Vaters Geist: Verdammt auf eine Zeitlang, nachts zu wandern …«
Die Worte waren kaum verklungen, da fiel mir ein, daß Guthrie ja tot sein konnte und nun sein Geist gekommen sei, um eine allerletzte Vorstellung zu geben. Ein schauderhafter, unmöglicher Gedanke, aber dann erinnerte ich mich, daß Monica ähnliche oder gar noch schrecklichere Gedanken peinigten. Ich mußte unbedingt zu ihr gehen.
Während die Worte des Geistes
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