18 Geisterstories
sich emporschwangen – wunderbare schwarzgefiederte Vögel –, lief ich wieder einmal hinter der Bühne herum. Auf der rechten Seite standen F.F. und John noch genauso da, wie ich sie verlassen hatte, bewegungslose Schemen, erstarrt und gefesselt.
Monica hatte sich von dem Schaltpult entfernt und stand jetzt, ein wenig gebückt, nahe dem Scheinwerfer, der ein diffuses blaues Licht auf den Vorhang warf.
Ich ging zu ihr hinüber, als der Geist gerade von der Bühne abtrat und sich rückwärts entlang des Lichtkegels bewegte, ohne in ihn hineinzutreten, seine letzten Worte sprechend, die noch schrecklicher und einsamer klangen, als ich sie jemals zuvor gehört hatte:
»… Lebe wohl mit eins:
Der Glühwurm zeigt, daß sich die Frühe naht,
Und sein unwirksam Feuer beginnt zu blassen.
Ade! Ade! Ade! Gedenke mein!«
Es vergingen ein, zwei Sekunden, ehe im gleichen Augenblick an zwei verschiedenen Stellen Lärm ausbrach: Monica schrie gellend auf, während gleichzeitig im Parkett und auf den Rängen donnernder Applaus losbrandete, angeheizt von Guthries Leuten, aber diesmal das ganze Publikum mitreißend. Meiner Meinung nach war es der größte Beifall, den der Geist in der ganzen Theatergeschichte jemals bekommen hat. In der Tat war mir vorher nie zu Ohren gekommen, daß sich seinetwegen extra eine Hand gerührt hätte. Es war sicher die unpassendste Stelle zum Klatschen, wenn ich auch zugebe, daß die Vorstellung den Beifall durchaus verdient hat. Aber die Atmosphäre war zerstört, und der anhaltende Applaus nahm der Szene viel von ihrem bedrohlichen Charakter.
Monicas Schrei erstickte in den Beifallswogen, so daß nur ich und einige andere aus der Truppe ihn hören konnten.
Zuerst dachte ich, ich selbst sei die Ursache für den Schrei gewesen, weil ich sie ganz plötzlich, wie zuvor Guthrie, von hinten angefaßt hatte. Aber anstatt zu erschrecken, drehte sie sich um und klammerte sich an mich. Gertrude Grainger und Sybil Jameson nahmen sich ihrer fürsorglich an und versuchten sie zu beruhigen.
Der Beifall war abgeklungen. Der Prinzipal, Don und Joe taten ihr Bestes, um die Situation zu retten, während aus den Scheinwerfern ein rosaroter Lichtschein auf die Bühne fiel: Die Dämmerung brach über Helsingör herein. Schließlich beherrschte sich Monica und erzählte uns in hastig hervorgestoßenen Worten, was sie zum Schreien gebracht hatte. Der Geist, sagte sie, sei für einen kurzen Augenblick an den Rand des blauen Lichtkegels getreten, und dabei hätte sie durch seinen Schleier ein Gesicht gesehen, das dem Gesicht Shakespeares aufs Haar glich. Ja, so sei es gewesen. Später geriet ihre Sicherheit etwas ins Wanken, aber als sie uns das erzählte, war sie noch abso lut sicher, daß sie Shakespeare höchstpersönlich und niemand anderen gesehen habe.
Ich machte die Erfahrung, daß man nicht entsetzt aufschreit oder sich nach außen hin besonders exaltiert benimmt, wenn man so etwas hört. Es bringt einen eher zum Schweigen. Aber ich fühlte mich ziemlich elend, während gleichzeitig meine Verärgerung wegen des Oui ja-Brettes wieder wuchs. In der Tat war ich zutiefst erregt und obendrein verdrossen und gereizt, so als hätte eine riesenwüchsige Kreatur die Spielzeugwelt meines Universums in Unordnung gebracht.
Sybil und Gertrude schien es genauso zu ergehen. Wir waren wegen dieser ganzen Sache alle sehr bestürzt, und auch Monica war auf ihre Weise eingeschüchtert. Gleich würde der Vorhang nach jener Szene fallen, mit der der erste Akt endet. Dann würden auch die Bühnenlichter aufleuchten.
Als der Vorhang schließlich fiel – mit einer weiteren Runde Applaus von jenseits der Rampe – und wir über die Bühne
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