18 Geisterstories
gesprochen hatte. Daraufhin kam Moni ca noch näher mit ihrem Mund heran, so daß ihre Lippen fast mein Ohr berührten.
»Ich habe nichts dagegen, wenn jemand anderer den Geist spielt«, flüsterte sie kaum hörbar, »wirklich nicht, Bruce, aber in diesem Theater geht etwas um …«
»Sie sollten diesen Ouija-Unsinn vergessen«, sagte ich ein wenig zu scharf. »Stehen Sie jetzt bitte auf«, fügte ich noch schnell hinzu, denn der Vorhang ging eben über der zweiten Szene nieder; es war höchste Zeit für Monica, deren Auftritt mit Laertes und Polonius unmittelbar bevorstand.
Ich wartete, bis sie auf der Bühne war und ihre ersten Verse gesprochen hatte. Obwohl ich sicher war, daß ihr ihre überreizten Nerven einen Streich gespielt hatten, ließen mich ihre unheimlichen Beobachtungen erschauern. Was mich wiederum auf den Gedanken brachte, noch einmal mit Guthrie zu sprechen und mir sein Gesicht anzusehen. Während ich äußerst behutsam ging, damit sich der Vorhang nicht bauschte, ließ mich plötzlich eine Szene vor Verblüffung sprachlos innehalten, die ich schon einmal gesehen hatte, als ich von meinem Gang durch die Bars zurückgekommen war. Nur war die Bühne jetzt hell erleuchtet. Props saß hinter seinem Requisitentisch und beobachtete alles sehr aufmerksam. Hinter ihm sah ich wieder Francis Farley Scott und John McCarthy in ihren improvisierten Geist-Kostümen, und bei ihnen standen wieder der Prinzipal und Joe, alle in einen heftigen, nur für Lippenleser verständlichen Streit verwickelt, der diesmal aber viel hastiger ausgetragen wurde.
Es wurde mir schnell klar, daß Guthrie wieder verschwunden sein mußte. Als ich auf die Streitenden zuging, schoß mir der alberne Gedanke durch den Kopf, daß Guthrie letztendlich doch noch das Loch entdeckt haben könnte, durch das jeder Alkoholiker liebend gern verschwinden würde, um die Pausen zwischen den leider nun einmal notwendigen Auftritten in der reellen Welt trinkend auszufüllen.
Plötzlich rannte Donald Tryer, unser Horatio, an mir vorbei auf den Prinzipal zu und teilte ihm keuchend mit, daß er Guthrie weder in einer Garderobe noch sonst irgendwo im Bühnenraum aufstöbern könnte.
In diesem Augenblick fiel der Vorhang. Die Kulissen, vor denen Ophelia und die anderen agiert hatten, wurden hochgezogen und gaben den Blick auf die Zinnen Helsingörs wieder frei. Die helle Beleuchtung wurde auf das mitternächtliche Blau der ersten Szene herabgedämpft, so daß man momentan fast überhaupt nichts erkennen konn te. Ich hörte den Prinzipal mit größtem Nachdruck sagen: »Sie spielen den Geist.« Dann hasteten er und Joe und Don auf ihre Plätze, um sich für ihren eigenen Auftritt bereitzuhalten. Sekunden später ging der Vorhang träge zischend in die Höhe, und ich hörte den Prinzipal mit volltönender Stimme rezitieren:
»Die Luft geht scharf, es ist entsetzlich kalt.«
Dann Don als Horatio:
»‘s ist eine schneidende und strenge Luft.«
Inzwischen hatten sich meine Augen an das Dunkel gewöhnt, und ich sah Francis Farley Scott und John McCarthy Seite an Seite in der Kulisse, durch die der Geist auf die Bühne tritt. Sie schienen noch immer zu streiten, denn jeder der beiden bildete sich ein, der Prinzipal hätte in der Dunkelheit auf ihn gedeutet. Was F.F. betraf, so war es natürlich jederzeit möglich, daß er sich nur diesen Anschein gab. Die Vorstellung von Zwillingsgeistern, die Arm in Arm die Bühne betreten, drohte meinen überreizten, für Komik sehr empfindlichen Verstand ins Schleudern zu bringen. Dann tauchte hinter ihnen jedoch wieder die mächtige Gestalt mit verschleiertem Helm auf – die Geschichte wiederholt sich eben. Auch Scott und McCarthy
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