18 Geisterstories
gingen, Monica dicht neben mir, denn mein Arm lag noch immer auf ihrer Schulter, da hörten wir einen erstickten männlichen Schreckensschrei, der uns entsetzte und zur Eile antrieb. Ungefähr zur gleichen Zeit waren fast ein Dutzend Personen auf der linken Bühnenseite versammelt, unter ihnen natürlich der Prinzipal und die anderen, die auf der Bühne gewesen waren.
F.F. und Props standen in der Tür zur Requisitenkammer und blickten in den versteckten Teil des L-förmigen Raumes hinab. Sogar von der Seite sahen die beiden recht mitgenommen aus. Dann kniete sich F.F. nieder und verschwand aus meinem Gesichtsfeld, während Props sich in gekrümmter Haltung über ihn beugte.
Als wir uns mit hochgereckten Hälsen um Props drängten, um einen Blick zu erhaschen – ich war unter den ersten und stand direkt neben dem Prinzipal –, sahen wir etwas, das nur einen einzigen Schluß zuließ: Dieser Geist würde nie mehr vor den Vorhang treten und sich für den Applaus bedanken können, der noch immer aus dem Zuschauerraum heraufbrandete, obwohl die Hauslichter für die erste Pause bereits an sein mußten.
Guthrie Boyd lag in seinen Straßenkleidern auf dem Rücken. Sein Gesicht sah grau aus, seine Augen blickten starr. Um ihn herum verstreut lagen der Umhang des Geistes, der Schleier, der Helm und eine leere Whiskyflasche.
Zwischen den beiden unmittelbar aufeinanderfolgenden Erschütterungen – Monicas Enthüllung und die Entdeckung des Leichnams in der Requisitenkammer – hatte sich ein Zustand der Erschöpfung meines Denkens bemächtigt. Monicas hilfloser, ungläubig staunender Gesichtsausdruck verriet mir, daß sie das gleiche wie ich fühlte. Ich versuchte, die Dinge wieder ineinanderzufügen, aber sie wollten einfach nicht mehr zusammenpassen.
F.F. schaute uns über seine Schulter hinweg an. »Er atmet nicht mehr«, sagte er, »ich fürchte, er ist tot.« Dann begann er, Boyds Krawatte aufzubinden, sein Hemd aufzuknöpfen und seinen Kopf auf den zusammengerollten Umhang zu betten. Er reichte uns die Whiskyflasche zurück, deren sich Joe schleunigst entledigte.
Der Prinzipal schickte jemanden nach einem Arzt, und innerhalb von zwei Minuten brachte Harry Grossman einen aus dem Publikum herauf, der seine Platznummer und sein Köfferchen an der Abendkasse hinterlassen hatte.
Er war ein kleiner Mann – kaum die Hälfte von Guthrie – und vor Schreck fast gelähmt, aber er versuchte sich gerade deshalb mit größter professioneller Würde aufrechtzuhalten, als wir ihm Platz machten und uns hin ter ihm zusammendrängten.
Er bestätigte F.F.’s Diagnose und erhob sich schnell wieder, nachdem er sich für ein paar Sekunden bei Guthrie niedergekniet hatte. Dann sagte er sehr hastig zum Prinzipal, so als würden ihm die Worte entgegen seiner gewohnten beruflichen Zurückhaltung überraschend entschlüpfen: »Mr. Usher, wenn ich nicht selbst Zeuge gewesen wäre, daß dieser Mann soeben eine großartige schauspielerische Leistung vollbracht hat, würde ich denken, er ist seit einer Stunde oder länger tot.«
Er sprach so leise, daß ihn nur wenige verstanden, aber ich verstand ihn, und auch Monica schien ihn verstanden zu haben. Und das war die dritte große Erschütterung – ich stellte mir für einen Augenblick das grauenhafte Bild vor, wie Guthrie Boyds Geist oder irgendein anderes Wesen seinen toten Körper zwang, diese letzte Aufführung durchzustehen. Wieder einmal versuchte ich vergeblich, die einzelnen Teile dieses nächtlichen Mysteriums richtig ineinanderzufügen. Der kleine Doktor blickte uns lange und verwirrt an. »Ich vermute, er hat den Umhang über seinen Straßenkleidern getragen?« Er
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