18 Geisterstories
Spielzeit sehr angenehm. Gertrude und Sybil mußten nun ihre Veranstaltungen am Ouija-Brett allein fortsetzen.
Und jetzt werde ich Ihnen erzählen, was es mit dem kleinen Umstand auf sich hat, der mir und Monica eine befriedigende Lösung dieses nächtlichen Mysteriums bescherte.
Sie werden bemerkt haben, daß Props darin verwickelt war. Als ich ihn daraufhin ansprach, sagte er scheu, daß er mir in diesem Punkte nicht weiterhelfen könne. Er war ja eine Zeitlang dem unerklärlichen Zwang verfallen gewesen, sich betrinken zu müssen, und sein Verstand hatte vollkommen ausgesetzt, schon vor Beginn der Vorstellung bis hin zu dem Augenblick, wo er am Ende des ersten Aktes zusammen mit F.F. an Guthries Leichnam stand. Er erinnerte sich nicht an den Ouija-Schrecken oder an irgendein Wort, das er zu mir über Theater und Zeitmaschinen gesagt hatte.
F.F. erzählte uns, daß er Props nach dem letzten Auftritt des Geistes gesehen habe, wie er – in der Dunkelheit nur vage erkennbar – in die leere Requisitenkammer geschlurft sei, wo sie ein wenig später Guthrie am Boden liegend gefunden hatten. Ich glaube, daß der seltsame Blick, den F.F. – dieser realitättrunkene alte Schuft – dem Doktor zuwarf, nichts anderes andeuten sollte, als daß er selbst den Geist gespielt habe. Leider konnte ich ihn deswegen nicht zur Rede stellen.
Aber nun zu dem kleinen Umstand: Als sie Guthries Leichnam forttrugen und der Doktor den Rest von uns bat, zurückzutreten, da drehte sich Props gehorsam um, richtete sich auf und warf Monica und mir einen vielsagenden Blick zu. Er schien voller Mitleid, lächelte ernst und verwandelte sich für einen kurzen Augenblick in den ewigen Beobachter der Lebensbühne, für den diese klei ne Tragödie nur ein Teilchen im unendlich größeren, endlos interessierenden Lebensplan war.
Es dämmerte mir in diesem Moment, daß Props es gewesen sein konnte, denn während unserer Suche hatte er mit größter Aufmerksamkeit den Eingang zur leeren Requisitenkammer beobachtet. Man kann das Kostüm des Geistes ja in Sekundenschnelle aus- oder anziehen (obwohl Props’ Schultern einen Umhang wie den von Guthrie kaum zu füllen vermögen), und dann fiel mir noch ein, daß ich Props und den Geist kurz vor oder während der Vorstellung nie gleichzeitig gesehen hatte. Natürlich, Guthrie war wenige Minuten vor mir angekommen … und gestorben … und Props, ermutigt durch das Trinken, hatte seine Rolle übernommen!
Wie Props mir später erzählte, hatte Monica sofort gewußt, daß es sein hochstirniges Gesicht war, auf das sie durch den grünen Schleier einen flüchtigen Blick hat te werfen können.
In dieser Nacht waren also vier Geister auf der Bühne gewesen – John McCarthy, Francis Farley Scott, Guthrie Boyd und ein vierter, der die Rolle wirklich gespielt hat. Ob Props nun einen Blackout hatte oder nicht – er kannte die Verse von den vielen, vielen ›Hamlet‹-Aufführungen auswendig, denen er in seinem Leben schon beigewohnt hatte, vielleicht auch von begrabenen Erinnerungen aus der Zeit, da er die Rolle in den Tagen der Königin Elizabeth I. verkörpert hatte – und folglich hatte Billy (oder Willy) Simpson oder einfach Willy S. den Geist gespielt. Denn ein guter Schauspieler springt im Notfall automatisch für einen anderen ein.
Das arme alte Gespenst von
Heinrich Seidel
Heinrich Seidel (1842-1906) war ein Erzähler humorvol ler Kleinstadtidyllen und liebenswerter Vorstadtgeschichten, der mit seinen Erzählungen um Leberecht Hühnchen ho he Auflagen erzielte. Er arbeitete nach einem polytechnischen Studium zuerst als Ingenieur und machte sich als Konstrukteur des Hallendaches über
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