18 Geisterstories
und seine nervöse Anspannung stiegen, je wunderbarer ihm das Erlebnis erschien, mit einem Mörder die Klingen kreuzen zu sollen. Diese Vorstellung lockte ihn an wie ein Abgrund, und er kam sich so interessant vor, wie der Bändiger einer ungeheuren Gefahr, die unfaßbar und deshalb um so größer und schöner ist. Er war darum ganz außer sich und zweifelte an der göttlichen Gerechtigkeit, als er am Tag vor der Aufführung die Anzeichen einer schweren Influenza fühlte. Trotzdem er einen Teil seiner Monatsgage in Kognak anlegte, zwang ihn das Fieber nachmittags ins Bett, und der Arzt nahm ihm alle Aussicht auf das große Erlebnis des morgigen Abends.
Der Direktor und der Theatersekretär waren nicht weniger verzweifelt, fluchten auf das schlechte Wetter, das den Spielplan gar nicht beachte und griffen gleichfalls zum Kognak. Beim fünften Glas machte der Sekretär den Vorschlag, den Laertes durch einen minderen Darsteller zu besetzen. Aber der Direktor fuchtelte ihm seine Ge gengründe vor das Gesicht: nie … nie … nie würde Prinz eine Besetzung durch eine minderwertige Kraft zugeben. »Er will sich doch gewissermaßen rehabilitieren. Glänzend einführen und alles zeigen, was er kann. Das ist einfach unmöglich.« Beim siebenten Glas endlich erstrahlte der Ausweg in wunderbarer Helle. »Hildemann aus Prag als Aushilfe«, schrie der Sekretär und erhob sich halb von seinem Samtfauteuil, und »Hildemann aus Prag«, donnerte der Direktor.
Sie brachten ihren Vorschlag vor Prinz, und er nickte mit der düsteren Miene Hamlets Gewährung.
»Hildemann aus Prag ist gut«, sagte Gustav Rietschi und beschwichtigte den Freund, den der Wechsel doch unruhig machte. »Mit Hildemann brauchst du keine Probe, der ist fest und hat schon mit den besten Leuten gespielt, verlaß dich auf ihn.« Hildemann sagte zu und versprach zur rechten Zeit, noch kurz vor der Vorstellung – früher war es ihm einfach unmöglich – einzutreffen. Für Prinz war dieser Tag der Aufführung voll kochender Unruhe.
»Ich hätte doch gerne noch mit ihm geprobt«, sagte er abends zum Garderobier, als er den Degen umhängte. Dann schritt er auf der dunklen Bühne auf und ab und sah in das leere Haus, immer wieder zu dem in die Schleier des Geistes gehüllten Freund zurückkehrend. »Ich bin sehr aufgeregt, ich bitte dich, verlaß mich nicht.«
»Kein Wunder, wenn du heute Lampenfieber hast …«
»Lampenfieber? … Fast möchte ich sagen Angst … Weiß der Teufel … ist Hildemann schon hier?«
»Ich weiß es nicht. Aber er ist gewiß schon hier.«
Und Prinz wanderte weiter auf der noch mit allem Grauen des Unlebendigen erfüllten Bühne, vom Vorhang zum Rande der Schloßterrasse von Helsingör und wieder zurück, als ob er mit seinen Schritten die Qual der Einsamkeit zerreißen wollte. Die Wachen zogen auf und lehnten die Hellebarden an die gemalten Türme, um sich noch die Stiefel hochzuziehen und die Halskrausen zurechtzumachen, und Hamlet erschauerte vor ihren Schatten, als ob sie aus einer fremden, unbegriffenen Welt über die Bühne kröchen. Aus dem lebhaften, gefüllten Haus, aus dem mit Erwartungen versammelten Publikum kam ihm diesmal keine Zuversicht, und er wagte nicht einer Unruhe nachzufragen, die hinter den Kulissen jemanden zu vermissen schien.
Das Zeichen zum Beginn riß ihn empor, und mit ei nem plötzlichen Erschrecken begann er das nun Unwiderrufli che zu bedauern. Die Frage, warum er sich auf dieses grausame Spiel voll unbehaglicher Erinnerungen, voll blutiger Gestalten eingelassen habe, bestürmte ihn, und er hoffte nun, den Sinn des verzweifelten Hin und Her im Hintergrunde der Bühne im Ausbleiben Hildemanns zu finden. Dann war die
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