18 Geisterstories
über das nackte Kinn rieselten. So grausam hatte noch nie jemand gelacht, so klirrend und spitz war noch nie der Hohn der Bühne gewesen, eine ganze Sammlung von fein ausgeklügelten Folterinstrumenten, und das Publikum jubelte und konnte sich vor Entzücken nicht fassen. Es fühlte sich mitgerissen, selbst daran beteiligt und empfand die Qualen dieses Gehirns wollüstig an sich, wie das Knirschen der Säge in den Operationssälen angenehm durch die eigenen Knochen geht.
Der Theaterarzt kam im Zwischenakt auf die Bühne und fing Hamlet in einer Ecke ein: »Sie reiben sich auf. Was treiben Sie heute?« Aber Prinz lachte, stieß den Arzt grob von sich und rannte, von seinem verzweifelten Freund begleitet, fort, um Hildemann zu suchen. Seine Angst wirkte auf die übrigen Darsteller, und die Vorstellung begann sich über den Schein der Bühne zur Ahnung gräßlicher Bedeutsamkeit zu erheben. In alle Tiefen durchwühlt, zitterte die Dichtung, und die Schauspieler sahen sich in den Zwischenakten an, als ob sie nun den eigentlichen Sinn aller dieser Vorgänge erfahren müßten.
»Suchen Sie, suchen Sie«, schrie Hamlet dem Inspizienten, dem Regisseur, den Garderobieren zu, und alle suchten den verschwundenen Laertes.
Als die Szene seiner Rückkehr im vierten Akt kam, war er plötzlich da, betrat die Bühne und fügte sich kalt und steinern in das Spiel, als ob er nicht bemerkte, daß die übrigen sich fürchteten, nahe bei ihm zu stehen. Er besprach mit König Claudius den Mord Hamlets und blieb ruhig und sicher, nur wie von einer heimlichen Freude belebt, als ob sich etwas lang Ersehntes nun endlich unabwendbar erfüllen müßte. Hamlet hörte hinter der Szene, schwer auf den Freund gestützt, alle Heimlichkeiten des Anschlages gespannt an, und es schien, daß er sie wie neue und unerwartete Nachrichten in sich überwinden müsse. Seine Unruhe wurde von einer großen Schwere erdrückt und erstarrte von einem trägen, drohenden Koloß, der aus kleinen, grausamen Augen blinzelt. Aber die Handlung strömte unaufhaltsam weiter und riß über alle Verzögerungen hinweg, die Hamlet im Zwischenakt zu erfinden suchte. Man verlängerte die Pause, und er genoß sie wie eine Gnadenfrist, stumm mit dem Freund zwischen den Gräbern auf und ab wandernd, die man für die nächste Szene aufwarf.
Auf dem Friedhof, am Grabe der Ophelia stießen Hamlet und Laertes aufeinander. Es war ein Anprall, der das Publikum erschütterte, und grauenvoll ernst entspann sich das Ringen in dem offenen Grabe, ein Kampf, dem Hamlet mit leeren Augen und wankenden Knien entkam.
Den Beifall des Hauses drückte die Angst, und nur Laertes erschien auf der Bühne, mit langen, seltsam schlenkernden Armen und einem Lächeln, das so durchaus unpassend und wirrend schien, während Hamlet hinter der Szene den Freund umklammert hielt.
»Das ist der Tod« – er keuchte – »das ist der Tod.«
»Unsinn; halt aus, dann ist’s zu Ende.«
»Es ist zu Ende … ja, denn das ist der Tod. Er hatte mich gefaßt und ließ mich noch einmal los. Hast du nicht gesehen, wie sein anderes Gesicht auftauchte, und als er mich preßte, spürte ich … ich spürte … er atmet nicht. Er atmet nicht, Mensch!«
»Du mußt nachher gleich ins Bett. Du hast Fieber. Es hat dich zu sehr angegriffen. Die Erinnerung ist noch zu stark …«
»Sie ist wieder lebendig geworden, sie bringt mich um. Dieser Laertes wird mich töten. Ich will nicht mehr hinaus …«
Der Direktor und der Regisseur bekämpften seinen Widerstand, zerbrachen ihn und jagten Hamlet hinaus.
»Herr Prinz!« rief der Inspizient.
»Gleich.« Er packte den Freund bei der Schulter und riß sein Gesicht zu sich. »Ich muß dir’s sagen, bevor ich gehe. Einer muß es wissen. Du! Das damals war kein
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