18 Geisterstories
Zufall. Es war Absicht … Mord. Laertes ist ermordet worden, ich habe ihn umgebracht.«
»Herr Prinz!!«
»Ich komme.« Und Hamlet trat zu Horatio in die Halle des Kampfspieles. Laertes stand in der Nähe, irgendwo zwischen den Kulissen auf sein Stichwort wartend. Man sah ihn nicht, aber man wußte, daß er hier war und daß ihn nichts hindern würde, die Bühne zu betreten. Von der Angst des Freundes und seinem Geständnis verwirrt, wagte Rietschi nicht, ihn zu suchen und sah nur, wie sich die Vorgänge der Bühne hinschleppten, wie die Worte Hamlets zögernd und um kleine Aufenthalte bemüht, folgten. König Claudius setzte seine ausdrucksvollen, aufgeregten Gebärden fast in das Gesicht des Theaterarztes, dann riß auch ihn der Wirbel der Handlung hinaus, wo eine seltsame Spannung zitterte und auf ihre Erlösung wartete.
Hinter Rietschi machten zwei Feuerwehrleute halblaute Bemerkungen: »Der Hamlet, der spielt heut, das is a Pracht.«
»Jo, der spüllt … wie auf Tod und Leben.«
Plötzlich stand Laertes unter den Personen der Szene. Rietschi sah, wie sich alles ihm zuwandte, zugleich angezogen und abgestoßen und wie sie sich dann alle unwillkürlich um Hamlet als um einen entgegengesetzten Pol zu sammeln suchten. Das Gefüge des Dramas schwankte, wie ein vom Sturm berannter Turm, ohne Gefahr des Sturzes, aber genügend, um das Zitternd des Baues zu fühlen. Laertes stand unter den Höflingen, schlank, geschmeidig, lächelnd, und es schien Rietschi nun selbst, als ob dies nicht Hildemann sein könne. Er spielte verheißungsvoll mit der Klinge und zwang ihre Geschmeidigkeit zu tollen Linien, die einen Augenblick wie Zeichen in der Luft standen.
Der Kampf begann. Die Klingen fanden und banden sich, zischten wie Schlangen und begegneten sich in wil den Stößen und Paraden. Sie waren rasch und heimtückisch, lauernd und brutal, belebte Wesen, die am Rande eines Abgrundes miteinander ringen. Der Kampf zog sich in die Länge, weit über die Dauer eines bloßen Spieles hinaus, und während der Regisseur verzweifelt auf Fortinbras einsprach, sah Rietschi entsetzt, daß sich Hamlet im Ernst zu wehren hatte und daß ihn Laertes mit einem tol len Feuer von Stößen bedrängte. Um diesen Kampf bildeten sich Gruppen von Zuschauern, die der unbesonnenen Mimik wirklicher Angst folgten, und selbst die Massen der Statisten belebten sich.
Da sah Rietschi, daß Laertes mit einem Doppelstoß Hamlets Brust berührte und daß er die Klinge lächelnd und langsam zurückzog. Hamlet stürzte, bäumte sich auf, griff nach dem Hals und fiel zurück. Er langte mit krampfigen Fingern nach dem Kleide der Königin und wälzte sich röchelnd zur Seite.
»Vorhang, Vorhang!« schrie der Regisseur, der Theaterarzt rannte Rietschi fast um und drängte sich zu dem Gefallenen. Während der Regisseur vor dem Vorhang in das unruhige Murmeln des Publikums von einem kleinen, bedauerlichen Unfall sprach und um geordnetes Verlas sen des Hauses bat, untersuchte der Arzt den Körper des Verunglückten.
Hamlet war tot.
»Laertes, Laertes … wo ist Hildemann?« schrie der Direktor, und der Polizeikommissär rannte davon, um ihn zu suchen. Aber Laertes war verschwunden.
Ein Postbote durchbrach den Kreis der kreischenden Frauen und verstummten Männer mit einem Telegramm an den Direktor. Es enthielt eine sonderbare Nachricht. Der Zug, mit dem Hildemann zur Abendvorstellung eintreffen wollte, war auf halbem Wege durch einen Schienenbruch verunglückt. Es gab zwei Tote und einige Schwerverletzte. Und sobald in der nächsten Bahnstation die Identität der Verunglückten festgestellt worden war, hatte sich der Stationsvorstand beeilt, die Direktion davon zu verständigen, daß
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