18 Geisterstories
Aufführung unmöglich, mußte im letzten Augenblick abgesagt werden, und aus allen Ängsten führte für ihn ein Weg der Rettung. Aber nach seiner ersten Szene erwartete ihn ein Schatten und trat auf ihn zu.
»Herr Hildemann?«
»Herr Prinz?«
Hamlets Vater scherzte über die Verspätung.
»Oh, ich bin zuverlässig. Wenn ich zugesagt habe, so komme ich sicher.«
»Wollen wir nicht rasch die letzte Szene probieren.«
»Das Gefecht? Es ist nicht nötig. Sie fechten gut, und Sie sollen sehen, daß ich ein tüchtiger Gegner bin. Wir wollen es schon machen …«
Laertes nahm Abschied von Polonius und Ophelia. Seine Warnung vor Hamlet war trocken und geschäftsmäßig und doch seltsam erregend. Dann verschwand er, und als ihn Hamlet, der von einer schreckhaften Unruhe umhergetrieben wurde, suchen wollte, war er nicht zu finden, als wäre er wirklich jenseits eines unüberbrückbaren Meeres. Zitternd lag seine Seele in der Szene mit dem Geist seines Vaters auf den Knien. Das unerklärliche und Gespenstige des so vertrauten Vorganges wirkte wie Gift auf sein Blut, bis er mit Flimmern in den Augen und Sausen vor den Ohren am Ende fast zusammenbrach.
Im Publikum antworteten Schauer der Ahnung auf die in die Grenzen der Kunst gezwungene Angst Hamlets. Man fühlte sich vor der Offenbarung mystischer Ereignisse, vor einer seltsamen Symbiose von Schauspiel und Wirklichkeit und schrieb alle Erregung der unvergleichlichen Künstlerschaft des Darstellers zu.
Hamlet erschien an der Rampe und verneigte sich, totenblaß und mit zuckenden Händen vor dem begeisterten Haus. Dann jagte er wieder Hildemann nach, ohne ihn finden zu können. Rietschi hatte die Schleier des Geistes zurückgestreift und sah aus wie ein Beduinenhäuptling. Er wollte dem Freund durch seinen Händedruck von den kühlen Schätzen seiner Ruhe geben. Aber Prinz faßte ihn und riß ihn fast um: »Hörst du, hörst du, das ist gar nicht Hildemann …«
»Na, erlaube, wer sollte das denn sein …«
»Hildemann ist’s nicht. Ich kenne ihn nach den Bildern …«
»Und ich kenne ihn persönlich und sage dir, es ist Hildemann …«
»Merkst du denn nicht, Mensch, um Gottes willen, wie sich unter seinem Gesicht ein zweites immer vorschieben will. Es ist, als ob er zwei Schichten übereinander hätte. Ein Gesicht kämpft mit dem anderen und drängt es zurück … aber es wird ausbrechen können …«
»Hast du vielleicht aus Angst vor der Influenza zu viel Kognak …«
»Um Gottes willen! Sieht denn das niemand? … sieht denn das niemand, daß er mich haßt. In der Szene mit Ophelia … wie er mit den Zähnen knirschte und mit den Augen rollte, als er von Hamlet sprach. Das ist nicht Spiel, das ist echter Haß … jenseits aller Maske … Und wo ist er, wo steckt er? Ich will ihn zur Rede stellen.«
»Willem, fall nit von’s Jerüst.«
»Mach keine Späße. Ich bitte dich, verlaß mich nicht … bleib in meiner Nähe. Immer in meiner Nähe. Ich will dir etwas Schreckliches sagen … ich … ich fürchte mich.«
Rietschi begann zu besorgen, daß die Vorstellung mit einer Absage endigen werde und verstärkte alle suggestiven Kräfte seiner Freundschaft. Zwischen stumpfsinnigem Brüten, einer verlorenen Gleichgültigkeit, einem hastigen Aufzucken und einer unsteten Reizbarkeit ging die Darstellung des Hamlet weiter. Er gab das Schauspiel eines Verurteilten, der sich vor der Vernichtung in sich verkriecht und dann wieder mit den Fäusten gegen die Wände schlägt. Der Monolog über Sein oder Nichtsein schwankte zwischen melancholischer Teilnahmslosigkeit und furchtbaren Ausbrüchen; die letzten Sätze kamen mühsam und undeutlich hervor, während die Zähne die Lippen zerbissen, daß nach den letzten Worten zwei dünne Blutstrahlen
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