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18 Geisterstories

18 Geisterstories

Titel: 18 Geisterstories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kluge
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Auf­füh­rung un­mög­lich, muß­te im letz­ten Au­gen­blick ab­ge­sagt wer­den, und aus al­len Ängs­ten führ­te für ihn ein Weg der Ret­tung. Aber nach sei­ner ers­ten Sze­ne er­war­te­te ihn ein Schat­ten und trat auf ihn zu.
    »Herr Hil­de­mann?«
    »Herr Prinz?«
    Ham­lets Va­ter scherz­te über die Ver­spä­tung.
    »Oh, ich bin zu­ver­läs­sig. Wenn ich zu­ge­sagt ha­be, so kom­me ich si­cher.«
    »Wol­len wir nicht rasch die letz­te Sze­ne pro­bie­ren.«
    »Das Ge­fecht? Es ist nicht nö­tig. Sie fech­ten gut, und Sie sol­len se­hen, daß ich ein tüch­ti­ger Geg­ner bin. Wir wol­len es schon ma­chen …«
    Laer­tes nahm Ab­schied von Po­lo­ni­us und Ophe­lia. Sei­ne War­nung vor Ham­let war tro­cken und ge­schäfts­mä­ßig und doch selt­sam er­re­gend. Dann ver­schwand er, und als ihn Ham­let, der von ei­ner schreck­haf­ten Un­ru­he um­her­ge­trie­ben wur­de, su­chen woll­te, war er nicht zu fin­den, als wä­re er wirk­lich jen­seits ei­nes un­über­brück­ba­ren Mee­res. Zit­ternd lag sei­ne See­le in der Sze­ne mit dem Geist sei­nes Va­ters auf den Kni­en. Das un­er­klär­li­che und Ge­spens­ti­ge des so ver­trau­ten Vor­gan­ges wirk­te wie Gift auf sein Blut, bis er mit Flim­mern in den Au­gen und Sau­sen vor den Oh­ren am En­de fast zu­sam­men­brach.
    Im Pu­bli­kum ant­wor­te­ten Schau­er der Ah­nung auf die in die Gren­zen der Kunst ge­zwun­ge­ne Angst Ham­lets. Man fühl­te sich vor der Of­fen­ba­rung mys­ti­scher Er­eig­nis­se, vor ei­ner selt­sa­men Sym­bio­se von Schau­spiel und Wirk­lich­keit und schrieb al­le Er­re­gung der un­ver­gleich­li­chen Künst­ler­schaft des Dar­stel­lers zu.
    Ham­let er­schi­en an der Ram­pe und ver­neig­te sich, to­ten­blaß und mit zu­cken­den Hän­den vor dem be­geis­ter­ten Haus. Dann jag­te er wie­der Hil­de­mann nach, oh­ne ihn fin­den zu kön­nen. Riet­schi hat­te die Schlei­er des Geis­tes zu­rück­ge­streift und sah aus wie ein Be­dui­nen­häupt­ling. Er woll­te dem Freund durch sei­nen Hän­de­druck von den küh­len Schät­zen sei­ner Ru­he ge­ben. Aber Prinz faß­te ihn und riß ihn fast um: »Hörst du, hörst du, das ist gar nicht Hil­de­mann …«
    »Na, er­lau­be, wer soll­te das denn sein …«
    »Hil­de­mann ist’s nicht. Ich ken­ne ihn nach den Bil­dern …«
    »Und ich ken­ne ihn per­sön­lich und sa­ge dir, es ist Hil­de­mann …«
    »Merkst du denn nicht, Mensch, um Got­tes wil­len, wie sich un­ter sei­nem Ge­sicht ein zwei­tes im­mer vor­schie­ben will. Es ist, als ob er zwei Schich­ten über­ein­an­der hät­te. Ein Ge­sicht kämpft mit dem an­de­ren und drängt es zu­rück … aber es wird aus­bre­chen kön­nen …«
    »Hast du viel­leicht aus Angst vor der In­flu­enza zu viel Ko­gnak …«
    »Um Got­tes wil­len! Sieht denn das nie­mand? … sieht denn das nie­mand, daß er mich haßt. In der Sze­ne mit Ophe­lia … wie er mit den Zäh­nen knirsch­te und mit den Au­gen roll­te, als er von Ham­let sprach. Das ist nicht Spiel, das ist ech­ter Haß … jen­seits al­ler Mas­ke … Und wo ist er, wo steckt er? Ich will ihn zur Re­de stel­len.«
    »Wil­lem, fall nit von’s Jerüst.«
    »Mach kei­ne Spä­ße. Ich bit­te dich, ver­laß mich nicht … bleib in mei­ner Nä­he. Im­mer in mei­ner Nä­he. Ich will dir et­was Schreck­li­ches sa­gen … ich … ich fürch­te mich.«
    Riet­schi be­gann zu be­sor­gen, daß die Vor­stel­lung mit ei­ner Ab­sa­ge en­di­gen wer­de und ver­stärk­te al­le sug­ge­s­ti­ven Kräf­te sei­ner Freund­schaft. Zwi­schen stumpf­sin­ni­gem Brü­ten, ei­ner ver­lo­re­nen Gleich­gül­tig­keit, ei­nem has­ti­gen Auf­zu­cken und ei­ner un­s­te­ten Reiz­bar­keit ging die Dar­stel­lung des Ham­let wei­ter. Er gab das Schau­spiel ei­nes Ver­ur­teil­ten, der sich vor der Ver­nich­tung in sich ver­kriecht und dann wie­der mit den Fäus­ten ge­gen die Wän­de schlägt. Der Mo­no­log über Sein oder Nicht­sein schwank­te zwi­schen me­lan­cho­li­scher Teil­nahms­lo­sig­keit und furcht­ba­ren Aus­brü­chen; die letz­ten Sät­ze ka­men müh­sam und un­deut­lich her­vor, wäh­rend die Zäh­ne die Lip­pen zer­bis­sen, daß nach den letz­ten Wor­ten zwei dün­ne Blut­strah­len

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