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18 Geisterstories

18 Geisterstories

Titel: 18 Geisterstories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kluge
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ge­dan­ken­voll an den Tisch. Er konn­te wohl be­mer­ken, wie auf­ge­regt Hann­chen war und in wel­cher Be­we­gung sie sich be­fand. Set­zen Sie sich zu mir, Sie herz­lichs­tes Kind, sag­te er zu ihr, so gut ist es mir lan­ge nicht ge­wor­den. Sie wuß­te nicht, was sie ant­wor­ten soll­te, und die­se kind­li­che Ver­le­gen­heit mach­te ih­re Er­schei­nung noch lieb­li­cher. Theo­dor rück­te ihr nä­her und faß­te ih­re Hand mit der sei­ni­gen. Sie zit­tern ja, Hann­chen, sag­te er dann. – Es ist kal­tes Re­gen­wet­ter, ant­wor­te­te sie und schon tief in der Nacht. – Ja­wohl, und Ih­nen graut wohl manch­mal hier in der Ein­sam­keit, fuhr er fort: ge­ben Sie mir das an­de­re lie­be Händ­chen auch. So hielt er kriegs­lis­tig die bei­den Hän­de des Mäd­chens in sei­ner star­ken lin­ken Hand, und in­dem sie ihn mit fra­gen­den Bli­cken an­sah, griff er nach dem Blat­te, das so schön ver­wahrt war, ent­fal­te­te es und las. – O Theo­dor! sag­te das schö­ne Kind wei­nend, das war sehr, sehr un­recht von Ih­nen. Sie ging weit von ihm weg und setz­te sich in den ferns­ten Win­kel, das Köpf­chen mit ih­ren Hän­den be­de­ckend. Aber wie ward ihm, als er jetzt eins sei­ner Ge­dich­te las, die er vor ei­nem Jah re im Früh­ling ein­mal dem un­schul­di­gen Mäd­chen in ei­ner trau­li­chen Stun­de ge­ge­ben hat­te. Er sah es wohl, wie oft das Blatt war ge­le­sen wor­den, ei­ni­ge Buch­sta­ben wa­ren halb ver­löscht, viel­leicht von Trä­nen, viel­leicht auch weg­ge­küßt, und er selbst ließ jetzt, von plötz­li­cher Rüh­rung ge­walt­sam er­grif­fen, ei­ne große Trä­ne auf das Blatt fal­len.
    Er riß die Uhr her­aus und sah, daß er nun, sein wun­der­li­ches Ver­spre­chen zu er­fül­len, ei­len müs­se. Er sprang auf, ging zu Hann­chen, gab das Blatt ih­rer zit­tern­den Hand zu­rück und sag­te dann mit der zärt­lichs­ten Stim­me: Bit­te! bit­te! nicht bö­se. Sie stand auf und sah ihn mit wei­nen­dem Au­ge durch­drin­gend an. Er konn­te sich nicht be­zwin­gen und nahm sie in die Ar­me und drück­te einen herz­li­chen Kuß auf ih­re Lip­pen, dann, oh­ne ein Wort zu sa­gen, eil­te er hin­aus und rann­te auf dem Fuß­stei­ge fort, um zu rech­ter Zeit vor der al­ten Pfor­te der Klau­sen­burg an­zu­lan­gen.
    In­dem er da­vor stand, hör­te er un­ten im tie­fen Ta­le die Glo­cke des Dor­fes zwölf schla­gen. Er zog ge­dan­ken­los an dem Ei­sen­drah­te, der wie ver­höh­nend aus al­ter Zeit an der moos­be­wach­se­nen Mau­er nie­der­hing. Aber er kam auf un­er­war­te­te Wei­se zum Be­wußt­sein, denn ein son­der­ba­rer Ton er­klang laut gel­lend im In­nern, das Ge­tön hall­te noch in die Fer­ne hin­ein, aus die­ser er­wach­te ei­ne zwei­te Glo­cke, und nach die­ser noch ent­fern­ter ei­ne drit­te, al­le so selt­sam geis­ter­haft, daß ihn ein Schau­er er­faß­te.
    Jetzt öff­ne­te sich das Tor, er trat hin­ein: ein al­tes ge­bück­tes Müt­ter­chen stand mit ei­ner La­ter­ne da, er schritt in den Hof, und das Tor ward hin­ter ihm wie­der ver­schlos­sen.
     
    – Theo­dor kam aber am fol­gen­den Ta­ge nicht auf das Schloß zu­rück. Es schi­en, als wol­le er al­le Ver­bin­dung mit sei­ner be­jahr­ten Ver­wand­ten, der freund­li­chen Ba­ro­nes­se, ganz auf­ge­ben, denn er ließ sich dort in meh­re­ren Wo­chen nicht er­bli­cken. Da­ge­gen fiel ganz un­er­war­tet ei­ne große Ver­än­de­rung mit Si­do­nie vor. Sie hat­te, wie man glaub­te, von Theo­dor schon am fol­gen­den Mor­gen ein großes Brief­pa­ket er­hal­ten. Sie er­brach es in Ge­gen­wart der üb­ri­gen Gäs­te und war schon nach dem ers­ten flüch­ti­gen An­blick der Blät­ter au­ßer al­ler Fas­sung. Dies muß­te um so mehr auf­fal­len, da sie sonst in al­len La­gen des Le­bens einen un­er­schüt­ter­li­chen Gleich­mut be­wie­sen hat­te. Sie war jetzt so er­schüt­tert, daß sie oh­ne al­len Vor­wand die Ge­sell­schaft ver­ließ und sich in ih­rem Zim­mer ver­schloß. Die Tan­te war so neu­gie­rig, wie sie noch nie ge­we­sen war, um zu wis­sen, was die­se au­ßer­or­dent­li­che Ver­än­de­rung der Nich­te ha­be ver­ur­sa­chen kön­nen. Blin­den war gleich­gül­tig und Blom­berg, wel­cher

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