18 Geisterstories
den Zusammenhang zu ahnen schien, wollte keine Vermutung oder Meinung von sich geben.
Sidonie hatte in größter Eile einen reitenden Boten abgesendet, ohne zu sagen, wohin. Er mußte aber, so sah man, zu Anselm geeilt sein, weil dieser sich schon vor Tische einstellte und lange mit Sidonie, obgleich das Wetter nicht angenehm war, im Garten am Abhänge des Berges in den lebhaftesten Gesprächen auf und nieder wandelte und sich endlich sogar mit ihr in den alten Pavillon begab, der wegen seiner Baufälligkeit sonst nicht gern besucht wurde. Nach zwei Tagen verließ Sidonie in Begleitung des Grafen Blinden der noch einmal die Rolle des Vormundes übernehmen mußte, mit Anselm das Schloß, und kaum war eine Woche verflossen, so meldeten beide ihre Verlobung und Vermählung. Sie verließen aber die Landschaft und kauften sich in einer weit entlegenen Gegend an. Auch erfuhr man, daß aus jener kleinen Stadt, welche abseits im Tale lag, eine alte Frau ihnen gefolgt war, welche die Verpflegerin eines kleinen einjährigen Kindes gewesen, dessen Herkunft niemand wußte.
So gab es in der Provinz viel über jene so auffallenden Veränderungen zu reden. Auch Graf Theodor gab Stoff zum Verwundern. Er hatte jene verschwundenen Dokumente aufgefunden, und eine reiche Erbschaft war ihm zugefallen. Beim regierenden Fürsten galt er mehr als je, sein Gehalt war vermehrt und ihm ein größerer Wirkungskreis angewiesen worden. Mit dem Erbprinzen war er ebenfalls inniger befreundet, und beide Fürsten lobten ihn, daß er sein Verhältnis mit Sidonie so bestimmt und schnell aufgelöst habe. Der alte Herr war besonders darüber erfreut, daß die verdächtige Schöne das Land ganz verlassen hatte, weil es ihr schon einmal gelungen war, seinen Sohn durch ihre Reize zu fesseln. Das Erstaunen der kleinen Provinz stieg noch höher, als Graf Theodor, nachdem alles beseitigt war, seine Vermählung mit einem armen und bürgerlichen Mädchen erklärte, und Hannchen, die Försterstochter, auch vom wohlwollenden Regenten mit Gnade aufgenommen wurde.
Dieses schöne liebende Gemüt wurde für ihre Treue durch die höchste Glückseligkeit überrascht und über alle ihre Wünsche und Träume durch die Wirklichkeit erhoben. An jenem Abend, als Theodor seine ehemalige Geliebte noch so spät besuchte, hatte er gefühlt, wieviel er vormals an diesem reinen Herzen, an diesem kindlichen Wesen besessen hatte.
Nach zwei Monaten kam Graf Theodor mit seiner jungen Gemahlin wieder auf das Schloß der alten Baronin, um einige Wochen bei ihr in der schönen Gebirgsgegend zu wohnen. Er fand nur den alten gutmütigen Blomberg bei ihr. Die alte Verwandte behandelte das schöne liebenswürdige Hannchen mit der zärtlichsten Freundlichkeit, und Blomberg war über die Wendung entzückt, welche das Schicksal seines Freundes Theodor genommen hatte.
Da wir nun hier im vertrauten Kreise sitzen, fing der Alte an, da es wieder Abend geworden ist und kein Bedienter und noch weniger ein Besuch uns jetzt stören wird, so könnten Sie, mein Freund, uns wohl mitteilen, was Ihnen in jener Nacht, als Sie uns verließen, in der Klausenburg begegnet ist, oder ob Ihnen gar nichts zustieß, das der Rede verlohnte. Doch will mich bedünken, als habe jene Nacht Ihr Leben entschieden.
So ist es, sagte Theodor, und da gutmütige Freunde mir zuhören, so will ich auch erzählen, was mir begegnet ist, doch verlange ich selbst von Ihnen nicht, daß Sie mir unbedingt glauben, und bitte deshalb, daß meine Mitteilung nicht über Ihre Lippen kommen möge.
In einer sonderbaren Stimmung verließ ich dies Haus, um die Probe zu bestehen, die mir lächerlich dünkte. Sidonies
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