18 Geisterstories
Betragen hatte mich verletzt, und ich konnte mein Inneres nicht deutlich ergründen, ob ich sie wirklich lie be. Als ich, von einem Platzregen überrascht, zu Hannchen eintrat, erwachte meine vormalige, echte Liebe in ihrer ganzen Kraft, und ich wurde völlig verwirrt. So kam ich an das verwüstete Schloß und trat in der Mitternacht vor die Pforte. Schon als Kind hatte ich zuweilen an jenem Eisendraht gezogen und so wenig, wie andre Neugierige, eine Wirkung verspürt. Mißmutig griff meine Hand in den Ring, ich zog scharf – und ein lauter, wunderlicher Ton erklang, den ich nicht beschreiben kann. Er wiederholte sich in der Ferne und dann wieder in größerer Weite, und das alte verrostete Tor tat sich auf. Ich trat hinein, es verschloß sich hinter mir, und ich war mit einem alten blassen Mütterchen allein, die mir mit einer Laterne in das Gesicht leuchtete, dann winkte sie mir, ihr zu folgen. Und von jetzt an, wie soll ich den Zustand beschreiben, welcher mich jetzt beherrschte? Es war keine Betäubung, aber auch kein deutliches Bewußtsein. Fast wie ein Taumel oder Rausch oder eine Annäherung zum Schlummer. Und so folgte ich der krummen Alten. Der Hof war aber nicht der Hof; das Gesträuch, die Mooswände, der Efeu und das wilde Gestrüpp zwischen dem umherliegenden Gestein waren verschwunden, wir wandelten durch alte hohe Zimmer und Säle. In dem einen Zimmer war ein Bett und auf dem Tisch eine brennende Kerze. Die blasse Alte verließ mich. Das dunkle Gemach war sparsam erhellt, und der Mond schien bleich durch das trübe Fenster. In einer Nische des Zimmers stand die Büste eines alten Mannes, wie aus Marmor gearbeitet. Indem ich mich so umsehe, schreitet das auf mich zu, welches ich für ein steinernes Brustbild gehalten hatte. Ich bin dein Vorfahr Moritz, sagte die hochaufgerichtete Gestalt, und mein Grauen vor ihm war nur schwach und verschwand. Du sollst Friede und Ruhe genießen, und so werden wir alle die Ruhe finden. So tönte es dumpf, mir aber verständlich, aus seinem kreideweißen Munde. Er winkte, und hinter dem Sessel wickelte sich eine scheußliche Gestalt hervor, ganz so im Ansehn, wie uns jene Ernestine beschrieben wurde. Sie hatte einen offnen Brief in der Hand: Lies! krächzte sie, und ich ergriff mit zitterndem Ungestüm das Blatt. – Öffne den Schrank! sagte der Alte. Sie tat es und nahm viele Papiere hervor. – Ich nahm sie. Versöhnt! riefen beide, und zwei holde Gestalten, die der Alte Franz und Elisabeth nannte, schwebten vorüber. – Rund umher standen jetzt viele bleiche Erscheinungen, die Wände und Fenster zu verdecken schienen. Alles schwirrte, flüsterte, lispelte mir wie Flügelschlag, wie ein feines Brausen und Säuseln dazwischen. So weit reicht mein Bewußtsein, meine letzte schwache Erinnerung war, daß ich mir einbildete, ich sei auf das Bett gesunken.
Ein Frost erweckte mich. Es war klarer Morgen, und ich lag auf einem Stein in der Ruine, der vom Regen und Morgentau naß war. Ich hätte jetzt alles für Traum erklärt, wenn ich nicht jene lang vermißten Dokumente, die mir das Erbe zusicherten, in Händen gehalten hätte sowie jenen Brief, den mir die verzerrte Gestalt auf den Befehl meines Ahnherrn übergeben hatte. Er war von Sidonie und entdeckte mir ein inniges Verhältnis mit Anselm und wie man künftig meine Schwachheit und meinen Einfluß auf den jungen Fürsten hatte mißbrauchen wollen. Indem ich noch las, sann und staunte, arbeitete sich der junge Forstmann Werner durch die Klippen und Gesträuche, um jenen Brief zu suchen, den ihm am Abend, wie er erzählte, ein Gespenst entrissen hatte.
Ich schickte diesen Boten mit jenem Schreiben und einem Briefe von meiner Hand an Sidonie zurück. Ich ging zu Hannchen, von dort in die Residenz
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