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18 Geisterstories

18 Geisterstories

Titel: 18 Geisterstories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kluge
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mit Ih­nen ge­hen. Warum such­ten Sie nicht schon frü­her ärzt­li­chen Bei­stand?«
    »Weil es frü­her so nutz­los ge­we­sen wä­re, wie es jetzt auch ist«, ent­geg­ne­te die Un­be­kann­te, schmerz­lich die Hän­de zu­sam­menschla­gend.
    Der Arzt warf sei­nen for­schen­den Blick auf den schwar­zen Schlei­er. Er hät­te gar zu gern den Aus­druck des dar­un­ter ver­bor­ge­nen Ant­lit­zes be­ob­ach­tet; al­lein der Schlei­er war zu dicht, als daß un­ser Freund auch nur einen Zug zu er­ken­nen im­stan­de ge­we­sen wä­re. »Sie sind wirk­lich krank«, sag­te er mild, »ob­gleich Sie es nicht wis­sen, und lei­den an ei­nem hef­ti­gen Fie­ber, das Ih­nen die Kraft leiht, Ih­re An­stren­gun­gen zu er­tra­gen, oh­ne sie zu füh­len.« Er reich­te ihr ein Glas Was­ser und setz­te hin­zu: »Trin­ken Sie, su­chen Sie sich zu fas­sen, sa­gen Sie mir dann, wie lan­ge der Pa­ti­ent schon lei­det, und be­schrei­ben Sie mir, so ru­hig Sie kön­nen, die Krank­heit. Ich wer­de dar­aus ab­neh­men, wo­mit ich mich ver­se­hen muß, um mei­nen Be­such nütz­lich zu ma­chen, und bin dann be­reit, Sie zu be­glei­ten.«
    Die Un­be­kann­te hob das Glas an den Mund, oh­ne den Schlei­er zu lüf­ten, setz­te es un­be­rührt wie­der nie­der und brach in Trä­nen aus.
    »Ich weiß«, sag­te sie un­ter lau­tem Schluch­zen, »daß das, was ich Ih­nen jetzt sa­gen wer­de, wie ei­ne Fie­ber­fan­ta­sie klingt. Es ist mir schon von an­dern we­ni­ger freund­lich als von Ih­nen ge­sagt wor­den. Ich bin kei­ne jun­ge Frau, Sir, und man sagt, wenn das Le­ben zu En­de geht, daß der letz­te kur­ze Rest, so wert­los er al­len an­dern er­schei­nen mag, dem sei­nem To­de sich Nä­hern­den teu­rer sei als al­le sei­ne frü­he­ren Jah­re, ob­gleich sich die Er­in­ne­rung an al­te, längst ent­schla­fe­ne Freun­de und an neue, viel­leicht an Kin­der, un­ge­ra­te­ne, un­dank­ba­re Kin­der, an sie knüpft. Ich muß mein Le­bens­ziel in we­ni­gen Jah­ren er­reicht ha­ben, ge­he ihm gern ent­ge­gen und wür­de oh­ne Seuf­zen, ja mit Freu­den in die­sem Au­gen­blick ster­ben, wenn das, was ich Ih­nen zu sa­gen im Be­griff bin, un­wahr oder ein­ge­bil­det wä­re. Mor­gen früh wird der, von dem ich re­de – ich weiß es, so in­brüns­tig ich wün­sche, daß es an­ders sein möch­te –, au­ßer dem Be­reich al­ler mensch­li­chen Hil­fe sein; und doch dür­fen Sie ihn heu­te abend, ob­gleich er in To­des­ge­fahr ist, nicht se­hen, und Sie wür­den ihm auch nicht hel­fen kön­nen.«
    »Ich ge­den­ke Ih­ren Schmerz«, er­wi­der­te un­ser Freund nach ei­nem kur­z­en Schwei­gen, »durch kei­ne Be­mer­kung über das, was Sie ge­sagt ha­ben, zu ver­grö­ßern noch zu­dring­lich ei­nem Ge­gen­stand ge­nau­er nach­zu­for­schen, wor­über Sie mich of­fen­bar im dun­keln las­sen wol­len; doch Ih­re An­ga­ben sind so wi­der­spre­chend, daß ich sie nicht zu ver­ei­ni­gen weiß und sie ein we­nig un­wahr­schein­lich fin­den muß. Der Pa­ti­ent stirbt in die­ser Nacht, und ich darf ihn nicht se­hen zu ei­ner Zeit, wo mein Bei­stand von Nut­zen sein könn­te. Sie glau­ben, daß mein Be­such mor­gen nutz­los sein wird, und be­geh­ren doch, daß ich den Pa­ti­en­ten mor­gen se­hen soll. Wenn er Ih­nen wirk­lich so teu­er ist, wie er es nach Ih­ren Wor­ten und Trä­nen zu sein scheint, warum wol­len Sie nicht, daß ein Ver­such ge­macht wer­den soll, ihn am Le­ben zu er­hal­ten, be­vor es zu spät ist?«
    »Gott ste­he mir bei!« rief die Un­be­kann­te, bit­ter­lich wei­nend, aus. »Wie kann ich hof­fen, daß Frem­de glau­ben wer­den, was mir selbst un­glaub­lich er­scheint! Sie wol­len ihn al­so nicht se­hen, Sir?« füg­te sie, rasch auf­ste­hend, hin­zu.
    »Ich sag­te nicht, daß ich mich wei­ge­re«, ver­setz­te der Arzt; »al­lein, las­sen Sie sich er­in­nern, welch schreck­li­che Ver­ant­wor­tung auf Ih­nen las­tet, wenn Sie auf Ih­rer be­gehr­ten un­er­klär­li­chen Ver­zö­ge­rung be­ste­hen und der Pa­ti­ent stirbt.«
    »Die Ver­ant­wort­lich­keit wird al­ler­dings auf ir­gend je­mand schwer las­ten«, sag­te die Un­be­kann­te mit Bit­ter­keit. »Die auf mir las­ten­de bin ich be­reit auf mich zu

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