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18 Geisterstories

18 Geisterstories

Titel: 18 Geisterstories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kluge
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je­doch kein Be­darf an Arz­nei­en und kei­ne Not­wen­dig­keit der Bot­schafts­über­mitt­lung be­stand, ver­brach­te er die ar­beits­frei­en Stun­den – im Durch­schnitt vier­zehn pro Tag – mit dem Ver­zehr von Pfef­fer­minz­plätz­chen, der Ein­nah­me der­ber Kost und mit Schla­fen.
    »Ei­ne Da­me, Sir – ei­ne Da­me!« flüs­ter­te er, den Schlä­fer schüt­telnd.
    »Was für ei­ne Da­me?« rief un­ser Freund, aus dem Schla­fe auf­fah­rend, nicht ganz ge­wiß, ob sein Traum ei­ne blo­ße Täu­schung wä­re, und halb und halb er­war­tend, Ro­se selbst an sei­ner Sei­te ste­hen zu se­hen. »Was für ei­ne Da­me? Wo?«
    »Da, Sir«, er­wi­der­te der Kna­be, nach der Glas­tür hin­wei­send, die in das Be­hand­lungs­zim­mer führ­te, und sah aus, als wenn ihm die un­ge­wöhn­li­che Er­schei­nung ei­nes Pa­ti­en­ten den größ­ten Schre­cken ein­ge­jagt hät­te.
    Der Wund­arzt wen­de­te sich nach der Tür um und er­schrak selbst im ers­ten Au­gen­blick. Die Da­me war un­ge­wöhn­lich groß, in tie­fe Trau­er ge­klei­det und stand so dicht hin­ter der Tür, daß ihr Ge­sicht fast das Glas be­rühr­te. Sie hat­te sich sorg­fäl­tig in einen schwar­zen Man­tel ein­gehüllt und ihr Ant­litz durch einen di­cken schwar­zen Schal ver­mummt. Sie stand ker­zen­ge­ra­de und voll­kom­men re­gungs­los da. Der Wund­arzt fühl­te, daß sie die Au­gen auf ihn ge­rich­tet hat­te, al­lein sie gab nicht durch die lei­ses­te Be­we­gung zu er­ken­nen, daß sie es ge­se­hen hat­te, wie er sich nach ihr um­dreh­te.
    »Wün­schen Sie mich zu kon­sul­tie­ren?« frag­te er ein we­nig zö­gernd, in­dem er die Tür öff­ne­te.
    Die ver­schlei­er­te Ge­stalt blieb re­gungs­los auf der­sel­ben Stel­le ste­hen und neig­te nur be­ja­hend den Kopf ein we­nig.
    »Ich bit­te, tre­ten Sie ein«, sag­te der Arzt höf­lich.
    Sie be­gann vor­wärts zu schrei­ten, blieb aber so­gleich wie­der ste­hen und dreh­te den Kopf nach dem Kna­ben, zu des­sen gren­zen­lo­sem Schre­cken.
    »Geh hin­aus, Tom«, sag­te der jun­ge Mann; »zieh den Vor­hang vor und ver­schließ die Tür.«
    Tom tat, wie ihm be­foh­len war, und such­te dar­auf so­gleich mit sei­nen großen Au­gen das Schlüs­sel­loch.
    Der Arzt schob einen Stuhl an den Ka­min und wink­te der ge­heim­nis­vol­len Da­me, Platz zu neh­men. Sie ging lang­sam zum Stuhl, und er be­merk­te, daß sie durch Schmutz und Was­ser ge­gan­gen sein muß­te.
    »Sie sind sehr naß«, sag­te er.
    »Ja«, er­wi­der­te die Un­be­kann­te mit lei­ser, kaum hör­ba­rer Stim­me.
    »Und krank?« frag­te der Arzt mit­lei­dig, denn der Ton ih rer Stim­me schi­en an­zu­deu­ten, daß sie hef­ti­ge Schmer­zen litt.
    »Ja, ich bin krank«, war die Ant­wort, »sehr krank, doch nicht kör­per­lich. Ich bin nicht mei­net­we­gen zu Ih­nen ge­kom­men, Sir. Wenn ich leib­lich krank wä­re, so wür­de ich nicht al­lein bei ei­nem sol­chen Un­wet­ter und zu ei­ner sol­chen Stun­de aus­ge­gan­gen sein; und lag ich auf dem Kran­ken­la­ger, wie gern wür­de ich, Gott weiß es, in vier­und­zwan­zig Stun­den mei­nen Geist auf­ge­ben. Es ist ein an­de­rer, für den ich Hil­fe su­che, Sir. Viel­leicht ist es – und ich glau­be wohl, daß ich wahn­sin­nig bin –, ist es Wahn­sinn von mir, Hil­fe für ihn bei Ih­nen zu su­chen; al­lein der Ge­dan­ke hat mich kei­ne Nacht in lan­gen trau­ri­gen Stun­den bei Wa­chen und Wei­nen ver­las­sen wol­len, und ob­wohl ich ein­se­he, daß kein mensch­li­cher Bei­stand ihm hel­fen kann, stockt mir doch bei dem Ge­dan­ken, ihn hilf­los zu las­sen, das Blut in den Adern!«
    Ih­re gan­ze Ge­stalt er­beb­te bei die­sen Wor­ten, und zwar so, wie sie es schlech­ter­dings nicht hät­te er­küns­teln kön­nen. Dem Arzt ging ihr of­fen­bar tiefer See­len­schmerz zu Her­zen. Er hat­te noch nicht ge­nug von dem Elend ge­se­hen, durch des­sen An­blick so­viel er­fah­re­ne Män­ner sei­nes Be­rufs ge­gen mensch­li­che Lei­den mehr oder min­der ab­ge­stumpft wer­den. Er stand rasch auf und sag­te: »Wenn sich der Pa­ti­ent, von dem Sie spre­chen, in ei­nem so hoff­nungs­lo­sen Zu­stand be­fin­det, wie Sie sa­gen, so ist kein Au­gen­blick zu ver­lie­ren. Ich will so­gleich

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