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18 Geisterstories

18 Geisterstories

Titel: 18 Geisterstories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kluge
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neh­men.«
    »Da ich mir kei­ne auf­la­de«, fuhr der Arzt fort, »in­dem ich mich Ih­rem Be­geh­ren fü­ge, so wer­de ich mor­gen früh den Pa­ti­en­ten be­su­chen, wenn Sie die Adres­se zu­rück­las­sen wol­len. Zu wel­cher Stun­de kann ich ihn se­hen?«
    »Um neun Uhr«, er­wi­der­te die Frau.
    »Sie müs­sen mei­ne Fra­ge ent­schul­di­gen«, sag­te der Arzt; »aber be­fin­det er sich un­ter Ih­rer Ob­hut?«
    »Nein.«
    »Dann wür­den Sie ihm al­so auch nicht bei­ste­hen kön­nen, wenn ich Ih­nen Ver­ord­nun­gen für sei­ne Be­hand­lung über Nacht mit­gä­be?«
    Die Un­be­kann­te er­wi­der­te un­ter Trä­nen: »Nein!«
    Da we­nig Aus­sicht war, wei­te­re Aus­kunft zu er­hal­ten, und da un­ser Freund die Ge­füh­le der Un­glück­li­chen zu scho­nen wünsch­te, die an­fangs ge­walt­sam an sich ge­hal­ten hat­te, jetzt aber von ih­rem Weh ganz über­wäl­tigt schi­en, so wie­der­hol­te er sein Ver­spre­chen, den Pa­ti­en­ten am an­dern Mor­gen zur be­stimm­ten Stun­de zu be­su­chen, und entließ die rät­sel­haf­te Frau, die sich, nach­dem sie ihm ein Haus in ei­nem ent­le­ge­nen Teil von Wal­worth be­zeich­net hat­te, nicht min­der ge­heim­nis­voll ent­fern­te, als sie ge­kom­men war.
    Man wird leicht glau­ben, daß ein so au­ßer­or­dent­li­cher Be­such einen be­trächt­li­chen Ein­druck auf das Ge­müt des jun­gen Arz­tes mach­te und daß er viel und lan­ge und eben­so ver­geb­lich nachsann, wie das Rät­sel zu lö­sen sein möch­te. Gleich an­dern hat­te er oft von merk­wür­di­gen Fäl­len ge­hört und ge­le­sen, in wel­chen Vor­ah­nun­gen oder Vor­her­sa­gen des To­des ge­wis­ser Per­so­nen auf den Tag, ja auf die Mi­nu­te ein­ge­trof­fen wa­ren. In ei­nem Au­gen­blick war er zu glau­ben ge­neigt, daß der vor­lie­gen­de ein sol­cher Fall sein möch­te, wo­ge­gen er in­des im an­dern wie­der be­dach­te, daß nach al­len hier­her ge­hö­ri­gen Ge­schich­ten, die ihm be­kannt wa­ren, nur von Vor­ge­füh­len er­zählt wur­de, die ge­wis­se Per­so­nen von ih­rem ei­ge­nen Tod ge­habt hat­ten. Die Be­su­che­rin hat­te aber von ei­ner drit­ten Per­son, ei­nem Man­ne, ge­spro­chen, und un­mög­lich war an­zu­neh­men, daß ein blo­ßer Traum oder ei­ne Ein­bil­dung sie ver­an­laßt ha­ben soll­te, mit so schreck­li­cher Be­stimmt­heit, als sie es ge­tan, vom To­de des­sel­ben zu re­den. Soll­te der Mann viel­leicht am an­dern Mor­gen er­mor­det wer­den, und war es die Ab­sicht der Frau – die et­wa an­fäng­lich ein­ge­wil­ligt, an der Tat An­teil zu neh­men, sich durch einen Eid zum Schwei­gen ver­pflich­tet und spä­ter be­reut hat­te –, wo­mög­lich we­nigs­tens sei­nen Tod, wenn ein­mal ei­ner Miß­hand­lung nicht zu be­geg­nen war, durch Sor­ge für zei­ti­gen ärzt­li­chen Bei­stand zu ver­hin­dern? Doch war es denk­bar, daß so et­was kaum zwei Mei­len von der Haupt­stadt ge­sche­hen konn­te? Un­ser Freund kam da­her wie­der auf sei­nen ers­ten Ge­dan­ken zu­rück, daß der Ver­stand der Frau zer­rüt­tet sein müß­te, und da er sich das Rät­sel auf kei­ne an­de­re ir­gend be­frie­di­gen­de Wei­se zu lö­sen wuß­te, so blieb er bei der An­nah­me, daß sie ver­rückt sei, so oft und so viel er auch noch wäh­rend sei­ner schlaflo­sen Nacht dar­über hin und her sann; denn der schwar­ze Schlei­er stand ihm be­stän­dig vor der See­le.
    Wal­worth, in sei­ner wei­tes­ten Ent­fer­nung von der Haupt­stadt, ist so­gar noch jetzt ein elen­der Ort oh­ne re­gel­mä­ßi­ge Stra­ßen und war vor fünf­und­drei­ßig Jah­ren zum größ­ten Teil kaum bes­ser als ei­ne trau­ri­ge Ein­öde, in wel­cher nur we­ni­ge Be­woh­ner von sehr zwei­deu­ti­gem Cha­rak­ter haus­ten, Leu­te, die ih­rer Ar­mut hal­ber in bes­se­ren Ge­gen­den kei­ne Woh­nun­gen mie­ten konn­ten oder de­nen die Ab­ge­schie­den­heit von Wal­worth we­gen ih­rer Be­schäf­ti­gung und Le­bens­wei­se be­son­ders wün­schens­wert war. Vie­le der Häu­ser, die man jetzt dort er­blickt, wa­ren da­mals noch nicht ge­baut und die vor­han­de­nen, zer­streut ste­hen­den so er­bärm­lich wie mög­lich.
    Als der jun­ge Arzt da­her durch die Ort­schaft ging, bot

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