18 Geisterstories
gesehen hatte.
»Sie wollen wohl zu mir«, sagte Adrian mit stockendem Atem, »bitte, treten Sie ruhig ein, erweisen Sie mir die Ehre.«
»Keine leeren Phrasen, mein Lieber«, entgegnete der Fremde mit hohler Stimme. »Geh voran und zeig deinen Gästen den Weg!«
Dem Sargtischler blieb nichts anderes übrig, als der Aufforderung zu folgen. Er ging durch das offene Gartentor, den Unbekannten hinter sich, dann durch die ebenfalls geöffnete Haustür und begann die Treppe hinaufzusteigen. Dabei hatte er das Gefühl, als gingen viele Leute in seinem Haus umher. Welch ein Teufelsspuk! dachte er und beeilte sich hinaufzugelangen.
Als er die Tür zu seiner Wohnstube aufmachte, schlotterten ihm die Knie: Im Zimmer waren lauter Tote. Der Mond schien durchs Fenster und erhellte die gelben, blau angelaufenen Gesichter, die eingefallenen Lippen, die trüben, halbgeschlossenen Augen und die scharf hervortretenden Nasen. Panische Angst bemächtigte sich seiner. Er erkannte in ihnen die Toten, die durch sein Dazutun begraben worden waren; derjenige, der mit ihm hereinkam, war der vor einer Woche beerdigte Brigadier, dessen Leichenzug vom Unwetter überrascht worden war. Sie alle, Damen wie Herren, begrüßten ihn mit tiefen Verbeugungen, Kratzfüßen und Glückwünschen, ausge nommen ein armer Schlucker, der umsonst begraben werden mußte und sich dessen ebenso schämte wie seines groben Hemdes. Er drückte sich als einziger in der Ecke herum. Alle übrigen waren sehr vornehm angezogen: Die Frauen trugen hübsche Hauben, die Männer waren je nach Rang und Würden in Uniform gekleidet, obgleich unrasiert, die Kaufleute hatten ihre Sonntagskleider an.
»Prochorow«, meldete sich der Brigadier im Namen aller Versammelten, »wie du siehst, sind wir alle deiner Einladung gefolgt; zu Hause sind nur die geblieben, die es beim besten Willen nicht mehr schaffen konnten, da sie entweder schon völlig zerfallen oder von ihnen nichts als blanke Knochen übriggeblieben sind. Aber selbst von denen hat es einer nicht über sein ehemaliges Herz bringen können wegzubleiben.«
Im selben Augenblick drängte sich ein kleines Skelett nach vorn und trat auf Adrian zu. Mit einem einnehmenden Grinsen blickte sein Schädel zu dem Sargtischler auf. An dem Gerippe hafteten noch einige Fetzen grünen und roten Stoffs und fadenscheiniger Leinwand, während die Beinknochen in den hohen Reitstiefeln klapperten wie Keulen in einem Mörser.
»Natürlich kennst du mich nicht, Prochorow«, sagte das Skelett, »aber du erinnerst dich gewiß noch an den verabschiedeten Gardesergeanten Pjotr Petrowitsch Kurilkin, dem du im Jahre 1799 deinen allerersten Sarg verkauftest, der im übrigen statt aus Eiche nur aus Tannenholz war!«
Bei diesen Worten schickte sich das Gerippe an, Adrian zu umarmen; aber Prochorow nahm alle Kräfte zusammen, schrie auf und stieß es von sich. Pjotr Petrowitsch taumelte, schlug hin und brach in lauter Stücke auseinander. Die Toten waren empört. Wie ein Mann traten sie für die Ehre ihres Kollegen ein und warfen sich schimpfend und drohend Adrian entgegen. Der arme Hausherr, von ihrem Lärm wie betäubt und fast zu Tode gedrückt, verlor seine Fassung, fiel nun über die Knochen des Gardesergeanten und blieb besinnungslos am Boden liegen.
Die Sonne schien längst auf das Bett, in dem der Sargtischler schnarchte. Endlich erwachte er und gewahrte die Magd, die den Samowar aufstellte. Mit Schrecken erinnerte sich Adrian, was gestern geschehen war. Wie in einem Nebel sah er die Trjuchina, den Brigadier und den Sergeanten Kurilkin vor sich. Schweigend wartete er darauf, daß die Magd anfangen würde, von den
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