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18 Geisterstories

18 Geisterstories

Titel: 18 Geisterstories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kluge
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ge­se­hen hat­te.
    »Sie wol­len wohl zu mir«, sag­te Adri­an mit sto­cken­dem Atem, »bit­te, tre­ten Sie ru­hig ein, er­wei­sen Sie mir die Eh­re.«
    »Kei­ne lee­ren Phra­sen, mein Lie­ber«, ent­geg­ne­te der Frem­de mit hoh­ler Stim­me. »Geh vor­an und zeig dei­nen Gäs­ten den Weg!«
    Dem Sarg­tisch­ler blieb nichts an­de­res üb­rig, als der Auf­for­de­rung zu fol­gen. Er ging durch das of­fe­ne Gar­ten­tor, den Un­be­kann­ten hin­ter sich, dann durch die eben­falls ge­öff­ne­te Haus­tür und be­gann die Trep­pe hin­auf­zu­stei­gen. Da­bei hat­te er das Ge­fühl, als gin­gen vie­le Leu­te in sei­nem Haus um­her. Welch ein Teu­felss­puk! dach­te er und be­eil­te sich hin­auf­zu­ge­lan­gen.
    Als er die Tür zu sei­ner Wohn­stu­be auf­mach­te, schlot­ter­ten ihm die Knie: Im Zim­mer wa­ren lau­ter To­te. Der Mond schi­en durchs Fens­ter und er­hell­te die gel­ben, blau an­ge­lau­fe­nen Ge­sich­ter, die ein­ge­fal­le­nen Lip­pen, die trü­ben, halb­ge­schlos­se­nen Au­gen und die scharf her­vor­tre­ten­den Na­sen. Pa­ni­sche Angst be­mäch­tig­te sich sei­ner. Er er­kann­te in ih­nen die To­ten, die durch sein Da­zu­tun be­gra­ben wor­den wa­ren; der­je­ni­ge, der mit ihm her­ein­kam, war der vor ei­ner Wo­che be­er­dig­te Bri­ga­dier, des­sen Lei­chen­zug vom Un­wet­ter über­rascht wor­den war. Sie al­le, Da­men wie Her­ren, be­grüß­ten ihn mit tie­fen Ver­beu­gun­gen, Kratz­fü­ßen und Glück­wün­schen, aus­ge nom­men ein ar­mer Schlu­cker, der um­sonst be­gra­ben wer­den muß­te und sich des­sen eben­so schäm­te wie sei­nes gro­ben Hem­des. Er drück­te sich als ein­zi­ger in der Ecke her­um. Al­le üb­ri­gen wa­ren sehr vor­nehm an­ge­zo­gen: Die Frau­en tru­gen hüb­sche Hau­ben, die Män­ner wa­ren je nach Rang und Wür­den in Uni­form ge­klei­det, ob­gleich un­ra­siert, die Kauf­leu­te hat­ten ih­re Sonn­tags­klei­der an.
    »Pro­cho­row«, mel­de­te sich der Bri­ga­dier im Na­men al­ler Ver­sam­mel­ten, »wie du siehst, sind wir al­le dei­ner Ein­la­dung ge­folgt; zu Hau­se sind nur die ge­blie­ben, die es beim bes­ten Wil­len nicht mehr schaf­fen konn­ten, da sie ent­we­der schon völ­lig zer­fal­len oder von ih­nen nichts als blan­ke Kno­chen üb­rig­ge­blie­ben sind. Aber selbst von de­nen hat es ei­ner nicht über sein ehe­ma­li­ges Herz brin­gen kön­nen weg­zu­blei­ben.«
    Im sel­ben Au­gen­blick dräng­te sich ein klei­nes Ske­lett nach vorn und trat auf Adri­an zu. Mit ei­nem ein­neh­men­den Grin­sen blick­te sein Schä­del zu dem Sarg­tisch­ler auf. An dem Ge­rip­pe haf­te­ten noch ei­ni­ge Fet­zen grü­nen und ro­ten Stoffs und fa­den­schei­ni­ger Lein­wand, wäh­rend die Bein­kno­chen in den ho­hen Reit­s­tie­feln klap­per­ten wie Keu­len in ei­nem Mör­ser.
    »Na­tür­lich kennst du mich nicht, Pro­cho­row«, sag­te das Ske­lett, »aber du er­in­nerst dich ge­wiß noch an den ver­ab­schie­de­ten Gar­de­ser­gean­ten Pjotr Pe­tro­witsch Ku­ril­kin, dem du im Jah­re 1799 dei­nen al­ler­ers­ten Sarg ver­kauf­test, der im üb­ri­gen statt aus Ei­che nur aus Tan­nen­holz war!«
    Bei die­sen Wor­ten schick­te sich das Ge­rip­pe an, Adri­an zu um­ar­men; aber Pro­cho­row nahm al­le Kräf­te zu­sam­men, schrie auf und stieß es von sich. Pjotr Pe­tro­witsch tau­mel­te, schlug hin und brach in lau­ter Stücke aus­ein­an­der. Die To­ten wa­ren em­pört. Wie ein Mann tra­ten sie für die Eh­re ih­res Kol­le­gen ein und war­fen sich schimp­fend und dro­hend Adri­an ent­ge­gen. Der ar­me Haus­herr, von ih­rem Lärm wie be­täubt und fast zu To­de ge­drückt, ver­lor sei­ne Fas­sung, fiel nun über die Kno­chen des Gar­de­ser­gean­ten und blieb be­sin­nungs­los am Bo­den lie­gen.
    Die Son­ne schi­en längst auf das Bett, in dem der Sarg­tisch­ler schnarch­te. End­lich er­wach­te er und ge­wahr­te die Magd, die den Sa­mo­war auf­stell­te. Mit Schre­cken er­in­ner­te sich Adri­an, was ges­tern ge­sche­hen war. Wie in ei­nem Ne­bel sah er die Trju­chi­na, den Bri­ga­dier und den Ser­gean­ten Ku­ril­kin vor sich. Schwei­gend war­te­te er dar­auf, daß die Magd an­fan­gen wür­de, von den

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