18 Geisterstories
sich ihm kein erfreulicher Anblick dar, und die ganze Umgebung war wenig geeignet, die Beklemmung zu verscheuchen, die er bei seinem beabsichtigten sonderbaren Besuch empfinden mochte. Sein Weg führte ihn seitwärts von der Landstraße ab über einen sumpfigen Anger, durch unregelmäßige Gassen und an halb zerfallenen oder zerfallenden Hütten vorüber. Bald hielt ihn ein Baumstamm, bald eine Pfütze oder ein kleiner Bach auf, der durch den in der Nacht gefallenen starken Regen entstanden war; und hier und da bezeugten ein elender Garten und die Beschaffenheit der Einzäunung sowohl die Armut der Eigentümer als auch ihre geringe Beachtung fremden Eigentums. Nur dann und wann ließen sich einzelne zerlumpte Bewohner vor den Haustüren sehen – etwa ein schmutziges Weib, das ein Gefäß mit Wasser ausgoß, oder ein Kind, das ein fast ebenso großes aus dem tiefen Schmutz wieder hereinholte –, und obendrein war alles in einen dichten dumpfigen Nebel eingehüllt.
Nachdem unser Freund lange und mühselig durch Kot und Wasser gewatet war und oft gefragt und ebensooft widersprechende und ungenügende Antworten erhalten hatte, fand er endlich das ihm bezeichnete Haus. Es war ein kleines, niedriges, einstöckiges Gebäude und gehörte zu den schlechtesten, die er auf seinem ganzen Wege gesehen. Im Erdgeschoß waren die Fensterläden geschlossen, ohne befestigt zu sein, und vor das Fenster im oberen Stock war ein alter gelblicher Vorhang gezogen. Das Haus stand ganz allein am Ausgang einer engen Gas se, weshalb auch keine andere Wohnung zu sehen war.
Auch der furchtloseste Leser wird nicht lächeln dürfen, wenn wir sagen, daß unser Freund ein wenig zauderte und es nicht sogleich über sich vermochte zu klopfen. Die Londoner Polizei jener Zeit war mit der jetzigen nicht zu vergleichen; die Bauwut und der Bevölkerungszuwachs, die seitdem die umliegenden Ortschaften mit der Hauptstadt in Verbindung gesetzt haben, hatten damals noch nicht begonnen, und jene waren daher zum Teil Schlupfwinkel der verdorbensten Volksklasse. Zur damaligen Zeit waren sogar die Hauptstraßen Londons nur schlecht erleuchtet, und die Vorstädte und nächstgelegenen Ortschaften erhielten ihr Licht lediglich von Mond und Sternen. Diebsgelichter in seinen Zufluchtsorten zu entdecken war stets sehr schwierig, und das schon verwegene Gesindel wurde natürlich um so dreister, je sicherer es sich fühlte. Hierzu kam, daß unser Freund eine Zeitlang in den Hospitälern der Hauptstadt beschäftigt gewesen war, und leicht genug konnte er auf den Gedanken kommen, daß Abscheulichkeiten unbestraft und unentdeckt verübt werden könnten, dergleichen späterhin von Burke und Bishop schauderhaften Angedenkens wirklich verübt worden sind. Sei dem, wie ihm wolle, und gleichviel, was ihn bedenklich machte: er zögerte, trat an die Haustür heran und wieder zurück und ging einige Schritte auf und ab, um sich zu orientieren. Sein Entschluß war jedoch in wenigen Augenblicken gefaßt, da er großen persönlichen Mut besaß – er klopfte. Gleich darauf hörte er ein leises Geflüster, als wenn jemand am Ende des Hausflurs leise und heimlich mit einer auf dem Treppenabsatz stehenden Person spräche; schwere Tritte näherten sich, und die Tür wurde vorsichtig geöffnet, von einem großen, widerlich aussehenden Mann mit schwarzem Haar und einem Gesicht, das so bleich und leichenhaft war, wie der Arzt jemals ein Totengesicht gesehen zu haben sich entsann.
»Treten Sie rein, Sir«, sagte er leise.
Der Arzt trat ein, und der Mann, der ihm die Tür geöffnet hatte, verschloß dieselbe sorgfältig wieder und ging ihm nach einem kleinen
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