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18 Geisterstories

18 Geisterstories

Titel: 18 Geisterstories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kluge
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sich ihm kein er­freu­li­cher An­blick dar, und die gan­ze Um­ge­bung war we­nig ge­eig­net, die Be­klem­mung zu ver­scheu­chen, die er bei sei­nem be­ab­sich­tig­ten son­der­ba­ren Be­such emp­fin­den moch­te. Sein Weg führ­te ihn seit­wärts von der Land­stra­ße ab über einen sump­fi­gen An­ger, durch un­re­gel­mä­ßi­ge Gas­sen und an halb zer­fal­le­nen oder zer­fal­len­den Hüt­ten vor­über. Bald hielt ihn ein Baum­stamm, bald ei­ne Pfüt­ze oder ein klei­ner Bach auf, der durch den in der Nacht ge­fal­le­nen star­ken Re­gen ent­stan­den war; und hier und da be­zeug­ten ein elen­der Gar­ten und die Be­schaf­fen­heit der Ein­zäu­nung so­wohl die Ar­mut der Ei­gen­tü­mer als auch ih­re ge­rin­ge Be­ach­tung frem­den Ei­gen­tums. Nur dann und wann lie­ßen sich ein­zel­ne zer­lump­te Be­woh­ner vor den Hau­stü­ren se­hen – et­wa ein schmut­zi­ges Weib, das ein Ge­fäß mit Was­ser aus­goß, oder ein Kind, das ein fast eben­so großes aus dem tie­fen Schmutz wie­der her­ein­hol­te –, und oben­drein war al­les in einen dich­ten dump­fi­gen Ne­bel ein­gehüllt.
    Nach­dem un­ser Freund lan­ge und müh­se­lig durch Kot und Was­ser ge­wa­tet war und oft ge­fragt und eben­so­oft wi­der­spre­chen­de und un­ge­nü­gen­de Ant­wor­ten er­hal­ten hat­te, fand er end­lich das ihm be­zeich­ne­te Haus. Es war ein klei­nes, nied­ri­ges, ein­stö­cki­ges Ge­bäu­de und ge­hör­te zu den schlech­tes­ten, die er auf sei­nem gan­zen We­ge ge­se­hen. Im Erd­ge­schoß wa­ren die Fens­ter­lä­den ge­schlos­sen, oh­ne be­fes­tigt zu sein, und vor das Fens­ter im obe­ren Stock war ein al­ter gelb­li­cher Vor­hang ge­zo­gen. Das Haus stand ganz al­lein am Aus­gang ei­ner en­gen Gas se, wes­halb auch kei­ne an­de­re Woh­nung zu se­hen war.
    Auch der furcht­lo­ses­te Le­ser wird nicht lä­cheln dür­fen, wenn wir sa­gen, daß un­ser Freund ein we­nig zau­der­te und es nicht so­gleich über sich ver­moch­te zu klop­fen. Die Lon­do­ner Po­li­zei je­ner Zeit war mit der jet­zi­gen nicht zu ver­glei­chen; die Bau­wut und der Be­völ­ke­rungs­zu­wachs, die seit­dem die um­lie­gen­den Ort­schaf­ten mit der Haupt­stadt in Ver­bin­dung ge­setzt ha­ben, hat­ten da­mals noch nicht be­gon­nen, und je­ne wa­ren da­her zum Teil Schlupf­win­kel der ver­dor­bens­ten Volks­klas­se. Zur da­ma­li­gen Zeit wa­ren so­gar die Haupt­stra­ßen Lon­d­ons nur schlecht er­leuch­tet, und die Vor­städ­te und nächst­ge­le­ge­nen Ort­schaf­ten er­hiel­ten ihr Licht le­dig­lich von Mond und Ster­nen. Diebs­ge­lich­ter in sei­nen Zu­fluchtsor­ten zu ent­de­cken war stets sehr schwie­rig, und das schon ver­we­ge­ne Ge­sin­del wur­de na­tür­lich um so dreis­ter, je si­che­rer es sich fühl­te. Hier­zu kam, daß un­ser Freund ei­ne Zeit­lang in den Hos­pi­tä­lern der Haupt­stadt be­schäf­tigt ge­we­sen war, und leicht ge­nug konn­te er auf den Ge­dan­ken kom­men, daß Ab­scheu­lich­kei­ten un­be­straft und un­ent­deckt ver­übt wer­den könn­ten, der­glei­chen spä­ter­hin von Bur­ke und Bi­shop schau­der­haf­ten An­ge­den­kens wirk­lich ver­übt wor­den sind. Sei dem, wie ihm wol­le, und gleich­viel, was ihn be­denk­lich mach­te: er zö­ger­te, trat an die Haus­tür her­an und wie­der zu­rück und ging ei­ni­ge Schrit­te auf und ab, um sich zu ori­en­tie­ren. Sein Ent­schluß war je­doch in we­ni­gen Au­gen­bli­cken ge­faßt, da er großen per­sön­li­chen Mut be­saß – er klopf­te. Gleich dar­auf hör­te er ein lei­ses Ge­flüs­ter, als wenn je­mand am En­de des Haus­flurs lei­se und heim­lich mit ei­ner auf dem Trep­pen­ab­satz ste­hen­den Per­son sprä­che; schwe­re Trit­te nä­her­ten sich, und die Tür wur­de vor­sich­tig ge­öff­net, von ei­nem großen, wi­der­lich aus­se­hen­den Mann mit schwar­zem Haar und ei­nem Ge­sicht, das so bleich und lei­chen­haft war, wie der Arzt je­mals ein To­ten­ge­sicht ge­se­hen zu ha­ben sich ent­sann.
    »Tre­ten Sie rein, Sir«, sag­te er lei­se.
    Der Arzt trat ein, und der Mann, der ihm die Tür ge­öff­net hat­te, ver­schloß die­sel­be sorg­fäl­tig wie­der und ging ihm nach ei­nem klei­nen

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