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18 - Orangen und Datteln

18 - Orangen und Datteln

Titel: 18 - Orangen und Datteln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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an welchem die Bewohner sich versammelten, um das Abendessen zu bereiten. Yussuf Alis Haus war das kleinste; ich konnte es eigentlich nur eine Hütte nennen, welche durch eine verschiebbare Flechtwand in zwei Teile geteilt wurde, deren einer das unvermeidliche Frauenzimmer, der Harem, war, welcher heute mir zur Verfügung gestellt wurde. Mein Wirt hatte nur die Ziege besessen, welche die Mir Mahmalli getötet hatten. Von ihrer Milch und dem Ertrag der Galläpfel lebte er. Außerdem erhielt er einen kleinen Extraanteil von jedem Raub, da er das Amt übernommen hatte, den Felseneingang zu bewachen.
    Was sollte er mir, dem hochgeehrten Gast, vorsetzen? Diese Frage setzte ihn nicht in Verlegenheit. Wenn ein armer Nomade, mag er nun Beduine, Kurde oder Kirgise sein, einen Gast bekommt und nichts für ihn zu essen hat, so geht er einfach zum ersten besten Nachbar oder noch besser zum reichsten Mann des Lagers und bekommt von diesem sofort, was er braucht. Yussuf Ali ging also zum Scheik und brachte Mehl, Reis und einen geschlachteten fetten Hammel, so daß also einer Hungersnot ganz gründlich vorgebeugt war.
    Leider aber fehlte ihm eins, und zwar die Hauptsache – der Tabak. Dieser gehörte nicht zu den Gegenständen, welche man für einen Gast umsonst verlangen kann. Er hatte eine alte Pfeife an einer Schnur am Hals hängen und zog sie bald hin und her, mich dabei verlegen betrachtend. Da schirrte ich meinen Hengst ab und holte aus der Satteltasche meinen Tschibuk und den Tabaksbeutel hervor, den ich Yussuf Ali präsentierte. Da begann sein Gesicht zu glänzen, und er rief aus:
    „Welch ein Glück, Herr, daß du selbst einen Vorrat von dieser Quelle des Genusses besitzest. Ich grämte mich schon, daß ich dir nichts zu bieten vermochte. Nun aber hat sich mein Gram in Wonne verwandelt. Chodeh dauleta ta mazen beket, jahrimen ahziz – Gott vermehre deinen Reichtum, mein teurer Freund!“ – – –

Hussein Isa
    Während wir beide Männer mit großen Eifer das taten, was die Abendländer so prosaisch mit ‚rauchen‘, die Türken aber mit tütün itschmek ‚Tabak‘ bezeichnen, war Fatima Marryah mit tief verschleiertem Gesicht beschäftigt, das Abendessen zuzubereiten. Es mußte Kuchen gebacken, Reis gedünstet und der Hammel am Spieß gebraten werden. Da ich leicht Ekel habe, so paßte ich sehr auf, in welcher Weise sie das tat. Hamdullillah! Sie war viel, viel reinlicher, als ich es bei einer Kurdenfrau vermutet hatte! Ich konnte mit Appetit essen. Während sie still und wortlos schaffte, unterhielt ich mich mit ihrem Mann über Hunderterlei, was ihn und mich interessierte, und fragte ihn im Lauf des Gespräches auch, ob Allah ihm das Glück, Vater eines Kindes zu sein, ganz versagt habe. Da wurde sein bisher so zufriedenes Gesicht plötzlich ungewöhnlich ernst; er blickte nachdenklich vor sich nieder und antwortete dann:
    „Nein, Herr, es wurde mir nicht versagt, dieses Glück, welches ich wohl besser ein Unglück nennen sollte.“
    „Ein Unglück? Dann verzeihe, daß ich davon sprach! Ist dir ein liebes Kind gestorben, so wisse, daß es bei Allah ist. Sprechen wir nicht davon!“
    „O, sprechen wir dennoch davon! Du weißt alles und kennst alles. Vielleicht kannst du mir einen Rat erteilen, welcher die schwere Last von meinem Herzen nimmt. Ich habe einen Sohn; er ist nicht gestorben und doch vielleicht schon tot.“
    „Vielleicht? So weißt du es noch nicht sicher? Ist er in die Fremde gegangen und nicht zurückgekehrt?“
    „Er ist in der Fremde und kommt oft zurück, uns zu besuchen, denn er liebt uns sehr und bringt alles, was er sich erspart. Er lebt also und ist doch vielleicht schon tot für uns.“
    „Wie soll ich das begreifen?“
    „Ich werde es dir erzählen. Als wir vergebens auf ein Kind hofften, taten wir ein Nadr (Gelübde), daß, wenn das Kismet sich erweichen lasse, unser Sohn nur für Allah und den Islam leben und wirken solle. Da erbarmte sich Allah und gab uns einen Sohn, Herr, ich sage dir, eine Wonne von einem Kind! Der Knabe hatte Augen wie Diamanten, ein Gesicht wie die lachende Morgenröte, ein Herz voller Liebe zu uns, einen Verstand, oh, einen Verstand, der von Jahr zu Jahr größer und reicher wurde. Wir taten ihn nach Diarbekir zu einem berühmten Gelehrten. Wir mußten hungern, um diesen Mann bezahlen zu können, aber wir taten es gern. Nach drei Jahren kam er zurück. Da konnte er den Koran und alle seine Auslegungen auswendig; alle heiligen Bücher waren in seinem Kopf

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