181 - Der ewige Turm
erfüllen.
»Ganz sicher«, bekräftigte der Kundschafter. »Ich habe sie sofort wieder erkannt.«
»Gut so.« Reezar grinste grausam. »Der Gehorsam der Moscherunen wird sich unter den anderen Stämmen herumsprechen. Und wenn wir mit der Frau fertig sind, werden wir sie am Schutzpfandstein rösten. Auch wie es Jungfrauen ergeht, die sich unserer Herrschaft zu entziehen versuchen, muss sich herumsprechen.«
»Da ist noch etwas«, sagte der Sprecher der Kundschafter. »Etwas Eigenartiges – die drei Fremden begleiten die Prozession mit dem Schutzpfand.«
Die drei Ersten Turmherren sahen einander überrascht an. »Das gefällt mir nicht.« Karzyan rieb sich nachdenklich das Kinn. »Was sind das nur für Männer? Besonders der große Weißhaarige gefällt mir nicht.«
»Vielleicht ist er ein Götterbote?«, sagte Belzary spöttisch.
Sein Vater schoss einen bösen Blick nach ihm ab. »Mit göttlichen Dingen scherzt man nicht!«, zischte er. »Nimm dir fünfzig statt nur zehn Krieger. Beobachte sie, vor allem die Fremden. Warte nicht, bis die Sonne aufgegangen ist, sondern hol die Jungfrau gleich, wenn man sie an den Stein gebunden hat. Geh!« Er deutete zur Tür.
»Jetzt schon? Es ist noch nicht einmal Abend!«
»Jetzt schon. Beobachte sie, wenn sie zur Lichtung kommen und das Mädchen anbinden. Ich will nicht wieder eine Überraschung erleben. Das würde unseren Ruf bei den anderen Stämmen schädigen.«
»Auch der große Wildhund begleitet die Prozession«, sagte der Kundschafter.
»Lecker!« Belzary steckte sein Fernrohr in seinen Mantel und rieb sich den Bauch.
***
Am frühen Nachmittag verließen sie die Moscherune.
Rulfan lief neben Sayona an der Spitze der Marschkolonne, Chira immer ein paar Meter voraus, die Nase unablässig im Gras, im Moos oder am Gehölz.
Sulbar und Halil bildeten die Nachhut.
Die dreißig Moscherunen hinter Rulfan waren mit Jagdbogen und Speeren bewaffnet. Dreißig Begleiter für die Jungfrau, keiner aus ihrer Sippe, und ausschließlich Waffen, mit denen man sich Affen und wilde Tiere vom Halse halten konnte – das war es, was der Kometenfürst den Stämmen unter seiner Knute befohlen hatte.
Schwerter, Säbel, Wurfspieße, Schleudern und Äxte waren verboten.
Die Moscherunen hinter Rulfan und Sayona hatten ihre Köpfe verhüllt und taten das, was Rulfan ihnen eingeschärft hatte: Sie schwiegen; meistens jedenfalls.
»Hast du Angst?«, fragte der grauhaarige Mann aus Euree das junge Mädchen an seiner Seite. Es nickte. »Gut so«, sagte Rulfan. »Nur Dummköpfe haben keine Angst in deiner Lage, und Dummköpfe ohne Angst machen die schwerwiegendsten Fehler.«
»Du wirst mir beistehen, Rulfan von Coellen?« Sayonas Stimme klang heiser, ihr Blick war ein einziges Flehen.
Ein paar Felle verhüllten ihre Blöße notdürftig. Auch diese für eine Moscherunenfrau beschämende Kleidung entsprach den Befehlen der Tyrannen aus dem ewigen Turm.
»Ich werde dir beistehen.« Rulfan nickte. »Alles, was ich versprochen habe, werde ich tun.«
»Und wenn sie die List durchschauen? Oder wenn einer der Männer einen Fehler macht?«
Rulfan beobachtete Chira. Sie schnüffelte in einer Bresche im Unterholz herum, durch die ein Wildpfad vom Weg zum Todesdreieck abzweigte. »Das wäre schlimm«, sagte er. »Und niemand kann uns garantieren, dass so etwas nicht geschieht. Aber das Risiko lohnt sich, wir müssen darauf vertrauen.« Sayona nickte, Chira huschte in die Bresche. Die Kolonne der Moscherunen zog daran vorbei.
Rulfan blickte zurück: Lauter verhüllte und gesenkte Köpfe, und wo man ein Gesicht erkennen konnte, war es weich und glatt. Blicke aus dunklen schmalen Augen begegneten ihm, Blicke voller Angst und zugleich voller Entschlossenheit. Sie ließen sich Zeit und gingen langsam, und sie gaben sich keine Mühe, lautlos zu marschieren. Laub raschelte und Zweige brachen unter ihren Sohlen. Sie taten all das, was er ihnen eingeschärft hatte.
Rulfan hatte nur Freiwillige in die Eskorte aufgenommen, die Sayona zum Schutzpfandstein begleitete. Eine Zeitlang war der Streit noch hin und her gebrandet. Doch die Erscheinung am Himmel hatte schließlich den Ausschlag gegeben. Den Scheiko hatte die unerwartete Aussicht auf göttlichen Beistand als ersten umgestimmt. Nacheinander waren die Gegner eines Aufstandes dann eingeknickt; zuletzt die Älteste. Ohne langes Palaver hatten sie Rulfans Plan akzeptiert. Es blieb ihnen auch gar nichts anderes übrig: Die Zeit war knapp, und sie selbst
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