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181 - Der ewige Turm

181 - Der ewige Turm

Titel: 181 - Der ewige Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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weiter hinaus. »Nanu? Wen haben wir denn da?« Er drehte am Okular seines Fernrohrs herum. »Victorius sieht einen Mann mit langem weißen Haar! Er ist größer als die anderen, und seine Haut ist weißer noch als die des Kaisers! Was sagst du dazu, Titana?«
    Der Gebäudekomplex und der Park, der ihn umgab, blieben zurück; und mit ihnen die Menschen vor dem Eingang der Zentralkuppel. »Victorius sieht ein Tier unter den Leuten, eine Art Hyäne, ziemlich groß und ziemlich schwarz.« Er setzte das Fernrohr ab, drehte sich um und lächelte in Richtung des flaumgefüllten Netzes, das über dem Kartentisch hin und her schwankte. »Siehst du, Titana? Wir sind nicht die Einzigen, die mit Tieren zusammenleben.«
    Über Wälder, Mauerreste, Ruinen und Trümmerhalden schwebte die PARIS dem Zielpunkt entgegen, den Victorius nun schon seit so vielen Stunden ansteuerte: das Hochhaus, das bis an die Wolken zu reichen schien.
    Im Grunde genommen war es ein Hochhaustrio, ein einzeln stehender und ein doppelter Turm. Die Zwillingstürme waren durch eine Art Brücke miteinander verbunden, und einer von ihnen war bis hinunter auf die Höhe der Brücke zerstört.
    »Die Katastrophe hat hierzulande deutlich größere Schäden angerichtet als bei uns zu Hause, andererseits habe ich in den Regionen um den Großen See noch nie derart hohe Bauten der Alten gesehen. Und Victorius ist viel herumgekommen, wie du weißt. In den oberen Stockwerken des Hauptturms wohnt man ja fast so hoch wie bei uns zu Hause!«
    Er ging zum Kartentisch und schaute wohl zum hundertsten Mal auf die Karte seines Vaters. »Wenn der Kaiser sich nicht geirrt und Victorius des Kartenlesens ausreichend kundig ist, dann muss diese Ruinenstadt unter uns einmal Kuala Lumpur gewesen sein.«
    Zurück am geöffneten Fenster, richtete er sein Fernrohr auf den Doppelturm. Aus einer Fassadenlücke in halber Höhe drang Rauch ins Freie. »Sieh an, sieh an! Der Turm ist behaust!« Der schwarze Pilot entdeckte menschliche Gestalten hinter einem Geländer vor der Mauerlücke.
    »Barbaren vermutlich. Sie entzünden offenes Feuer in geschlossenen Räumen. Welch ein Leichtsinn«
    Das Luftschiff glitt über den ersten Turm hinweg; unter sich sah Victorius nun die Brücke, die beide Türme verband. Das Material, aus dem man sie einst gebaut hatte, war halb durchsichtig oder so durchlöchert, dass man in sie hineinblicken konnte. Auf einmal zuckte Victorius zusammen. Er setzte das Fernrohr ab, schloss die Augen, legte den Kopf in den Nacken und verharrte sehr ruhig. »Folgendes«, sagte er nach ein paar Atemzügen. »Da unten hat jemand ganz schreckliche Angst. So eine schreckliche Angst, wie Victorius sie sich überhaupt nicht vorstellen kann.«
    Er ging zur Armaturentafel über dem Brenner, fuhr die Maschine auf die niedrigste Stufe herunter, fasste dann das Ruder und fixierte es in einer Position, die das Luftschiff auf einem engen Schleifenkurs hielt. Die PARIS kreiste nun in langsamster Fahrt über den beiden Türmen. Zurück am Fenster, richtete er sein Fernrohr wieder auf die Brücke und suchte sie so lange ab, bis er den Menschen entdeckte, den er dort unten versteckt wusste.
    »Eine Frau«, murmelte er, »eine sehr junge Frau.« Sie lag zusammengekauert zwischen Trümmern und Gestrüpp, das in der Verbindungsbrücke wucherte.
    »Victorius wüsste zu gern, wovor dieses Menschenkind sich so ungeheuer fürchtet. Doch nicht etwa vor uns?« Er drehte sich nach dem Netz um, das über dem Tisch pendelte. »Was meinst du, Titana, wollen wir es herausfinden? Vielleicht können Titana, Victorius und die PARIS ihr ja helfen, bevor sie weiterfliegen.« Er legte das Fernrohr in die offene Schublade seines Instrumentenschranks, öffnete einen Schlitz in dem Netz über dem Tisch und griff hinein. »Also gut, finden wir heraus, wovor sie sich fürchtet.«
    Seine gestreckte Hand bohrte sich in Flaum und Fellreste, schloss sich um ein kleines flauschiges Etwas und zog es behutsam heraus. Er ging zum Fenster, streckte die Faust hinaus und öffnete sie. »Wenn ich rufe, Titana, dann kommst du zurück!« Das kleine flauschige Etwas flatterte davon.
    Victorius ging zu seinem Kartentisch, ließ sich in den Sessel nieder und schnallte sich fest. Mit geschlossenen Augen saß er fast zwei Stunden vollkommen reglos; man hätte meinen können, er schliefe. Doch Victorius schlief keineswegs, war sogar hellwach. Irgendwann seufzte er, schlug die Augen wieder auf und sagte mit einer Stimme, die ganz weich

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