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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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»meiner Gefühle Herrin zu werden – es überwältigt mich doch immer wieder! Ach, dieser Schmerz wird nicht alt und stumpf in unserer Brust! Mit jeder Sonne geht er neu auf, und mit keiner geht er unter.«
    In diesem Augenblicke tönte durch die offenen Fenster des Saales, von der lauen Luft der Mainacht getragen, der Wohllaut einer Silberstimme, zwar aus einiger Entfernung, aber doch ganz vernehmlich herüber; Harfenklang mischte sich in die süße Melodie. Alle lauschten gespannt.
    »Die liebliche Sirene, Françoise Alisette,« sprach die Gräfin lächelnd; »o diese Zauberin hat schon manches Mal die düstern Träume, welche sich mir so schwer um Brust und Haupt lagerten, verscheucht. Es ist eine junge Sängerin, eine Französin, welche zu dem Theater hier in Warschau gehört.« Man horchte aufmerksam dem lieblichen Gesange; als er verstummt war, zog die Gräfin eine Klingelschnur und sagte dem eintretenden Kammerdiener einige Worte. Dieser ging. »Ich erwarte den Besuch einiger Freundinnen für diesen Abend,« wandte sie sich zu den Gästen; »es wird Ihnen doch nicht unangenehm sein?« Sie wurde unterbrochen, indem die Tür eines anstoßenden Gemachs sich öffnete und eine junge Dame in leichter weißer Frühlingskleidung eintrat. Die Männer sprangen mit eiliger Höflichkeit von ihren Sitzen auf, die Gräfin aber ging der Ankommenden entgegen, nahm sie bei der Hand und stellte sie mit den Worten vor: »Meine Hausgenossin; den Namen verschweige ich, weil Graf Jaromir, zeigen soll, ob er ein treues Gedächtnis hat.« Jaromir betrachtete die schöne Gestalt mit dem Ausdruck verwirrten Befremdens, welches eine solche Aufgabe des Wiedererkennens stets hervorbringt, wenn man seiner Erinnerungen nicht ganz sicher ist. Die edeln Züge der Unbekannten wurden durch ein angenehmes Erröten verschönert. Sie gewährte in ihrer jungfräulichen Schüchternheit fast einen klösterlichen Anblick, welchen zum Teil auch ein faltiger, weißer Schleier, den sie trug, hervorbrachte; er war mit goldenen Nadeln in dem dunkeln Haar befestigt und wallte, leicht hinter die Locken zurückgeschlagen, an der Wange hernieder über die Schulter bis fast auf das Knie hinab. Auf der andern Seite verhüllte er eine frische Rose im Haar, so daß dieselbe nur mit mattern Farben durch das Gewebe schimmerte. Der zarte Wuchs, den die Sommerkleidung mehr wahrnehmen ließ, als verbarg, das Schüchterne, Ungewisse in der Haltung der Gestalt, das verschämte Lächeln, der scheue und doch zutrauliche Blick des Auges vollendete die zauberische Anmut, welche in der ganzen Erscheinung lag. »Wahrlich,« rief endlich Jaromir, »ich stehe ganz beschämt; wenn Sie Töchter hätten, Gräfin –«
    »So würden Sie dennoch falsch raten«, unterbrach ihn diese.
    »Ich war wohl zu sehr Kind,« begann die Eingetretene mit wohllautender Stimme, »als daß ich Ansprüche darauf machen sollte, selbst einem so nahen Verwandten im Gedächtnisse geblieben zu sein.«
    Nach diesem Wink heftete Jaromir schärfer forschende Blicke auf das reizende Wesen; sie lächelte mit holder Anmut, als wolle sie sagen: »Nun, erkennst du mich noch nicht?« Da rief er plötzlich aus: »Lodoiska, wärst du es?« – »Endlich gefunden«, sprach die Gräfin; doch Jaromir hatte Lodoiskas Hand ergriffen, küßte sie feurig; zog dann das schöne errötende Mädchen sanft an sich, umarmte sie und drückte ihr den nach polnischer Sitte gestatteten Kuß auf die Stirn. Sie erwiderte diese Vertraulichkeiten zwar ein wenig befangen, doch mit Herzlichkeit.
    »Die seit lange gestorbenen Väter dieser beiden waren Brüder«, begann die Gräfin erklärend zu Ludwig und Bernhard. »Die sterbende Mutter hat mir dieses holde Vermächtnis hinterlassen. Sie war meine innigste Freundin«, setzte sie nach einigen Augenblicken mit Wehmut hinzu, während sie die Blicke wohlwollend auf Lodoiska geheftet hielt. »Meine Pflegetochter und ihr Vetter Jaromir sind zusammen erzogen und haben sich ihre ganze Jugend hindurch als Geschwister betrachtet.«
    In der Tat hatte sich die Vertraulichkeit zwischen beiden sehr rasch hergestellt; Jaromir setzte sich zu Lodoiska, ließ ihre Hand nicht mehr los und tat ihr tausend Fragen, welche sie teils erwiderte, teils mit dem innigsten Anteil beantwortete. Indessen verstanden Bernhard und Ludwig von den Einzelheiten des Gesprächs nichts, weil jene beide sich ihren Jugenderinnerungen wie natürlich in ihrer Muttersprache überließen. Es dauerte nicht lange, so hörte man das

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