1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
könnte von mir fast dasselbe sagen. Aber darf ich Sie um das fragen, was Ihr Glück störte?« setzte er hinzu. »Denn nach dem, was es begründete, zu forschen, würde etwas verwegen sein.«
»Wie mutwillig und eitel zugleich zeigen Sie sich,« rief Alisette mit komischem Zorn aus, und sogleich legte sich ihre Stirn in krause Falten; »recht wie ein Mann; denn wahrlich, ihr alle bildet euch ein, man könne nur durch euch glücklich werden.« – »Und ist es nicht schon bescheiden genug,« entgegnete Bernhard auf den Scherz eingehend, »daß ich wenigstens auch andere Ursachen zum Unglück annehme?« – »Nein, darüber müssen Sie nicht scherzen,« sprach Françoise wehmütig, aber leise, so daß sie ihre Worte nur an Bernhard richtete; »ich verlor meine einzige, über alles geliebte Schwester dort, die kurz zuvor Witwe geworden war und mir kein anderes Andenken hinterließ als ihr verwaistes kleines Töchterchen Nadine, die mir dereinst die Mutter ersetzen soll. Ach, mein Herr, Sie glauben nicht, wieviel Jammer sich im Leben zusammenhäufen kann! Ihr Reichen und Vornehmen wißt nicht, in wie viele Bedrängnisse der Arme und besonders ein hilfloses Mädchen nur zu leicht kommt! Wir müssen davon abbrechen, es taugt nicht für so viele; erzählen Sie mir lieber, wie es Ihnen in England gefallen hat.«
»Nicht so gut als in Schottland,« antwortete Bernhard; »denn dort zog mich die wunderbare Natur des Landes und der Menschen an, während mich in London die wunderliche Unnatur der letztern zurückstieß. In Schottland fand ich auch tausendmal mehr Gegenstände für meinen Pinsel – denn ich bin Maler – als in England.«
»Sie sind Maler!« rief Alisette freudig aus. »O das ist herrlich! Da haben Sie gewiß viele Zeichnungen mitgebracht, die Sie mir zeigen müssen, denn auch ich bin das Land vielfältig durchreist.« – »Sehr gern,« entgegnete Bernhard; »doch für jedes Blatt, welches ich Ihnen zeige, müssen Sie mir ein Lied singen!« – »Tausend, mit Freuden«, sprach Alisette munter, und jede Spur des Ernstes oder Schmerzes war aus ihren Zügen verschwunden. »Oder glauben Sie wohl, ich sänge ungern? Ach, meine ganze Seele ist glücklich, wenn nur singen kann.« Bernhard wollte ihr eben sagen: nun, so machen Sie doch sich und uns zugleich glücklich, als ihr Gespräch durch das Eintreten eines Fremden, des Obersten Regnard, unterbrochen wurde. Dieser war ein stattlicher Mann, vielleicht vierzig Jahre alt; doch schienen seine Züge anzudeuten, daß er das Leben rascher genossen habe, als heilsam zu sein pflegt. Seine Stirn wurde durch eine breite Narbe, die sich am Auge nahe den Schläfen herunterzog, nicht entstellt; der Blick hatte nur noch ein abnehmendes Feuer; seine Züge waren bestimmt, bedeutend, Geist verratend, doch ohne Lebendigkeit. Im übrigen besaß er eine große Gewandtheit des Benehmens und jene besonnene Haltung, welche der Franzose selten eher als in den Jahren des Obersten erwirbt. Der Deutsche erlangt sie zehn Jahre früher.
Regnard ging auf die Wirtin zu und begrüßte sie mit dem feinen Anstande des Weltmanns; gegen die übrigen Personen verbeugte er sich im allgemeinen, ohne irgend jemand besonders auszuzeichnen; nur Alisetten warf er einen bekannten, freundlichen Blick zu. »Ich sehe hier,« begann er nach einigen Augenblicken, »etwas doppelt Auffallendes für mich; drei mir ganz fremde Herren in einer mir ebenso unbekannten Uniform. Darf ich Sie bitten,« wandte er sich zur Gräfin, »mich mit meinen Kameraden bekannt zu machen?« Sie stellte ihm die neuen Ankömmlinge vor.
»Also Graf Rasinski wird bald hier eintreffen?« fragte der Oberst, als ihm das Verhältnis der jungen Männer zu diesem bekannt gemacht wurde. »Dies freut mich ungemein, denn wir haben in Spanien und Italien manchen heißen Tag miteinander zugebracht. Ein trefflicher Soldat,« setzte er hinzu, indem er sich halb zur Gräfin, halb zu den jungen Männern wandte; »der Kaiser konnte den Führer eines Freikorps nicht besser wählen. Der Graf hat militärischen Blick, er übersieht den Zusammenhang großer Operationen und beurteilt mit Scharfblick, an welchem Punkte die scheinbar kleine Hilfe zu einer unberechenbar großen wird. Die meisten Führer solcher Korps versehen es darin, daß sie ihre Unternehmungen nur für sich betrachten und ausführen. Es ist ganz gut, wenn man dem Feinde einen Transport Lebensmittel abnehmen kann, wenn man ein Detachement abschneidet oder aufhebt, ihn auch allenfalls
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