1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
fürchte ich, nur zu gemessen sein; Sie können mir es daher nicht verargen, wenn ich jeden Augenblick der Muße benutzen will, um Nachricht von meinem Bruder und Erzählungen von den Erlebnissen und Schicksalen so vieler teuern Landsleute zu vernehmen. Deshalb müssen Sie mir den Eigennutz verzeihen, mit dem ich Sie zu meinen Hausgenossen, oder, wenn Sie wollen, zu Gefangenen in meinem Hause mache.« Sie sprach diese verbindlichen Worte, durch welche sie ihrer Gastfreiheit eine so bescheidene Einkleidung gab, fast noch mit mehr Innigkeit als Freundlichkeit, so daß man fühlte, es sei ihr ein wahrhaft freudiges Ereignis, den jungen Landsmann wiederzusehen und ihn und seine Begleiter in ihrem Hause aufzunehmen. Jaromirs lebhaften Dank erwiderte sie mit der Bemerkung, sie wolle rasch vorausfahren, um Anstalt zum Empfange ihrer Gäste zu treffen, da man ja überdies von einem Wagen in den andern das Gespräch nicht frei führen könne. Ihr Kutscher trieb die raschen Schimmel an, sie verneigte sich freundlich grüßend und rollte vorüber.
»Ein herrliches Omen,« rief Bernhard aus, »das mir mehr gilt als die zwölf Geier, welche Romulus auf dem Aventinus sah, wiewohl schwerlich jemals ein Vogelflug größere Dinge geweissagt hat. In einer Stadt, wo eine so majestätische Juno uns willkommen heißt, muß uns der Olymp geöffnet werden.« Jaromir lächelte und wiegte sein schönes jugendliches Haupt.
Unsere Freunde erreichten das Tor, wo sie als Fremde einigen Aufenthalt erfuhren; so kamen sie erst mit einbrechender Nacht vor dem Palaste der Gräfin an. Es war ein großes Gebäude in edelm, doch etwas altertümlichem Stile; zwei Bediente sprangen, sobald der Wagen hielt, an den Schlag, ein dritter empfing die Aussteigenden und führte sie, den silbernen Armleuchter vortragend, in die zu ihrer Aufnahme bereits angewiesenen Zimmer. »Die Gräfin,« begann der Kammerdiener, »läßt die Herren ersuchen, sich zuvörderst ganz bequem einzurichten und dann, sobald es ihnen möglich und gefällig ist, herüber in den Gesellschaftssaal zu kommen, wo sie dieselben auf ein Glas Tee erwartet,« Die Reisenden waren schnell eingerichtet und umgekleidet, d.h. sie hatten die Uniform des neuzuerrichtenden Regiments angelegt. Es war schon zwischen ihnen verabredet, daß Ludwig und Bernhard ihre wahren Namen ablegen und fremde annehmen sollten. Der erstere hatte sich durch eine leichte Umstellung der Buchstaben seines wahren Namens Soren genannt; Bernhard gab sich, nach Erinnerung an ein schottisches Abenteuer am Loch Lomond, weil er das Seltsame liebte, für einen Grafen Lomond aus.
Sie gingen jetzt hinüber in den Gesellschaftssaal der Gräfin. In der Tür trat sie ihnen schon entgegen und hieß sie nochmals willkommen. Jetzt sah man erst, wie hoch und edel ihr Wuchs war, und wie sie auch in dieser Beziehung ganz ihrem Bruder glich. »Lassen Sie uns sitzen,« sprach sie zu allen gewandt; »zuerst muß ich, Sie verzeihen dies schon der weiblichen Neugier, ein wenig wissen, wen ich als Gast beherberge; denn mein Bruder hat mir nur geschrieben, daß Graf Jaromir von zwei Freunden begleitet sein werde. Nachher werde ich Sie ausforschen und ausfragen, selbst über die kleinsten Umstände; denn nichts ist mir gleichgültig, was meinen Bruder und diesen Krieg betrifft.« Sie hatte sich bei diesen Worten auf das Sofa gesetzt; die Herren nahmen ihr halb zur Seite und gegenüber auf Sesseln Platz.
»Nun sagen Sie mir, Jaromir,« begann die Gräfin, »wer sind Ihre lieben Begleiter und was bewegt sie als Fremde, die polnische Uniform anzulegen?«
»Wir geben wohl am besten selbst Auskunft über uns,« antwortete Bernhard. »In mir sehen Sie einen halbschottischen Grafen, jedoch in Deutschland geboren; aber ich glaube in der Tat, mein Grafentitel ist nicht mehr wert als meine Grafschaft, die ich gewiß nicht zu wohlfeil für das Spiegelbild eines Schattens verkaufte. Indessen wem ein berühmter Name etwas gilt, der darf mit dem eines Grafen Lomond wohl zufrieden sein. Ich meinesteils gestehe, daß ich auf meinen Stand stolzer bin als auf meinen Rang, und daher meinen Pinsel höher schätze als mein Wappen. Sie sehen hieraus, gnädigste Frau, daß Sie einen Maler vor sich haben, der, solange er lebt, die Pflicht gehabt hat, einen Grafen zu ernähren, wofür dieser, und das ist vielleicht sein einziges Gut, ihm herzlich dankbar ist.« – »So könnte also,« erwiderte die Gräfin lächelnd, »Ihr Pinsel Ihr Wappen auffrischen.« –
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