1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
einmal nur beunruhigt und dadurch ermüdet; im großen aber wird damit wenig gefördert. Der wahre Parteigänger muß entweder die Rolle der Biene spielen, welche den Jäger in die Hand sticht in dem Augenblicke, wo er abdrücken will; oder er muß im andern Falle die der Maus übernehmen, welche das Netz zernagt, in dem sich der Löwe gefangen hat.«
Der Oberst sprach über militärische Gegenstände mit einer großen Klarheit und sehr entschieden, ohne jedoch in jenen unangenehmen Ton zu verfallen, welcher stets vorauszusetzen scheint, daß man völlig Unkundige zu unterrichten und ihnen ganz besondere Schätze des Wissens mitzuteilen habe. Er warf seine einsichtigen Bemerkungen wie beiläufig, als Dinge, die sich eigentlich von selbst verstehen, hin, und in seiner sich überhaupt wenig ändernden Miene zeigte sich nichts, was eine prunkende Anerkennung des Werts einer ausgesprochenen Meinung zu erwarten schien. So auch jetzt, wo alles, was er sagte, eigentlich nur den Charakter eines Lobspruchs für Rasinski trug. Jaromir beantwortete die Bemerkungen des Obersten beistimmend, wodurch sich ein Gespräch über militärische Gegenstände entspann, dem Bernhard und Ludwig mit Anteil folgten. Dies zog sie ein wenig von der Unterhaltung mit den Damen ab, und sie wurden daher um so angenehmer überrascht, als plötzlich einige Akkorde auf dem geöffneten Flügel ertönten. Es war Françoise Alisette, die, zum Singen aufgefordert, sich mit heiterer Anmut an das Instrument gesetzt hatte und, indem sie wie unwillkürlich einige Griffe tat, sinnend aufwärts blickte, als suche sie etwas, das sie vortragen möchte. »St!« sprach der Oberst. »Nun laßt uns zuhören, meine Freunde! Ewig schade ist es um jeden Laut dieser Silberstimme, der ungehört verloren geht.«
Alle wandten die Blicke auf Alisetten, welche jetzt mit leichtem Wiegen des holden Köpfchens eine französische Romanze sang, deren sanfte, wellenförmig auf- und niederschwebende Melodie von ihr mit zartester Innigkeit vorgetragen wurde. Es war ein in der Tat reizendes Schauspiel, sie dabei anzusehen; denn ohne irgendeine Absichtlichkeit, ohne irgend gemachtes Mienenspiel anzuwenden, folgte doch der Ausdruck ihrer Züge dem der Worte und Töne bis in die feinsten Beziehungen nach. Die schönen Wellenlinien ihres Antlitzes schienen durch den zartesten Hauch der Klänge bewegt zu werden, wie der klare Spiegel eines Weihers sich leise wehenden Lüften mit sanftem Wiegen anschmiegt. Und welch ein namenloser Reiz lag in diesen silberhellen Tönen, die sich so schmeichelnd an das Ohr legten, mit so rührender Bitte an das Herz zu dringen schienen! Alles lauschte mit zurückgehaltenem Atemzuge. Bernhard ließ seine forschenden Blicke ringsumher schweifen; er hätte gern alles porträtiert, was im Zimmer Auge und Ohr hatte; denn der Anteil, welcher sich auf jedem Angesicht ausdrückte, verlieh auch jedem einen besondern malerischen Charakter. Von jeher gewohnt, den Ausdruck der Züge aus den verborgenen Tiefen der Seele zu erklären, weil er überzeugt war, daß alle Formen einem geistigen Gesetz gehorchten, welches uns nur nicht immer gleich verständlich ist, beschäftigte er sich noch jetzt damit, diese schönste Hieroglyphenschrift zu enträtseln, wobei man freilich oft noch in viel dunklere Irrwege gerät, als wenn man die Geheimnisse ägyptischer Katakomben aus der magischen Schrift der Priester zu enthüllen sucht. Indessen entgingen ihm doch zwei Bemerkungen nicht. Lodoiska schien weniger durch den Gesang ergriffen zu werden, als mit gespannter, fast unruhiger Aufmerksamkeit die Wirkung desselben auf Jaromir zu beobachten; dieser dagegen war so versunken in den Anblick der Sängerin, daß er es nicht bemerkte, wie dieselbe in fast auffallender Weise Blicke und Worte nur an ihn richtete. Noch ein drittes entdeckte Bernhard kurz vor dem Schlusse des Liedes; nämlich daß der Oberst den letzten Teil seiner Wahrnehmung ebenfalls gemacht zu haben schien und darüber die Stirn in finstere Falten zog. Bernhard war zu geübt in der Schule der Erfahrung, um aus dem, was er sah, nicht mancherlei Mutmaßungen zu schöpfen. Einige Äußerungen der Gräfin hatten es deutlich zu verstehen gegeben, daß der Oberst sich sehr angelegentlich um die Gunst der reizenden Alisette bewerbe; wenn diese daher dem schönen, jugendlichen Jaromir den Vorzug gab, so konnte dies zu verwickelten Unannehmlichkeiten führen, da der Oberst nicht aussah wie ein Mann, der einen Nebenbuhler
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