1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
trübe Lichtglanz schimmerte noch immer zwischen den Jalousien hindurch und wurde von Zeit zu Zeit durch einen vorüberschwebenden Schatten bedeckt; weiter aber ließ sich nichts hören noch sehen. Wohl eine halbe Stunde mochte Bernhard in ausharrender Spannung am Fenster zugebracht haben; da sich aber auch nicht das geringste entdecken ließ, beschloß er, jetzt in sein Zimmer zurückzugehen. Er wandte sich um und wollte auf die Tür zuschreiten; da blieb er plötzlich, von Erstaunen gefesselt, stehen, denn sie öffnete sich, und eine weiße, in einen Schleier gehüllte, geisterartige Gestalt, welche der durch das Fenster des Korridors einfallende Mondstrahl hell beleuchtete, schwebte herein. Bernhard schrak zusammen; so ungewöhnlich die Erscheinung war, so waren es doch nicht die Schauer der Geisterfurcht, die ihn ergriffen, sondern vielmehr die Besorgnis, auf seiner sehr seltsamen, ja fast unerklärlichen Nachtwanderung betroffen zu werden. Mit angehaltenem Atem lehnte er sich, froh, nicht mehr die weißen, durchschimmernden Vorhänge zum Hintergrunde zu haben, gegen einen Pfeiler. Die Tür schloß sich hinter der eintretenden Gestalt, die mit kaum hörbaren Schritten ihren Weg die ganze Länge des Saales hinunternahm. In dem tiefen Dunkel, welches den großen Raum erfüllte, wurde sie dem Auge nur wie ein vorüberziehendes weißes Nebelbild, das mehr und mehr in Nacht und Ferne zerfloß, sichtbar. So scharf Bernhards Auge die Erscheinung verfolgte, so konnte er doch nicht entdecken, wohin sie ihren Weg nahm. Sie verlor sich an dem entfernten Ende des Saales; man hörte nicht, daß eine Tür geöffnet oder geschlossen wurde, doch kehrte niemand zurück und auch nicht der leiseste Laut ließ sich vernehmen. Bernhard war anfangs ungewiß, ob die Gestalt nicht noch im Saale verweile. Er blieb daher, um sich nicht selbst zu verraten, noch eine gute Weile regungslos stehen, dann näherte er sich behutsam der Tür, erreichte den Korridor und, obwohl alle Lampen erloschen waren, auch ohne weitern Unfall die Tür seines Gemachs. Auffallend war es ihm, als er an Jaromirs Tür vorüberging, daß dieser noch wachte; er hörte ihn im Zimmer auf und ab gehen. Um so leiser schlich er daher, damit er sich nicht noch im letzten Augenblicke verraten möchte, vorüber. Unbemerkt hatte er glücklich sein Zimmer gewonnen. Zwar begab er sich jetzt zur Ruhe, doch dauerte es lange, bis die vielfachen Empfindungen und Mutmaßungen, welche die abenteuerlichen Erlebnisse in ihm aufgeregt hatten, ihn einschlummern ließen.
Fünftes Kapitel.
Am andern Morgen war Jaromir zuerst wach, sprang schnell von dem Lager auf und weckte die Freunde; denn jetzt sollten die ernsten Stunden der dienstlichen Tätigkeit beginnen. Bernhard und Ludwig waren rasch in Uniform; man schickte sich an, auszugehen. Im Palast war noch alles still; auch auf den Straßen regte sich kein Laut. Der Weg führte die drei Freunde durch die Seitenstraße, in welcher Alisette wohnte. Bernhard warf in der Erinnerung an den gestrigen Abend spähende Blicke hinauf. Die Fenster waren noch durch die Jalousien geschlossen. Jaromir blickte dagegen nach den Fenstern des Palastes gegenüber, die durch weiße Vorhänge verhüllt waren.
»Was sucht denn dein Auge dort oben?« fragte Bernhard ahnend; »hier hinüber wende es, denn in einem dieser Häuser muß, wie sie mir gestern sagte, die liebliche Françoise Alisette wohnen.«
»Und dort wohnt –« rief Jaromir lebhaft, stockte aber plötzlich, denn einer der Fenstervorhänge, nach denen er eben blickte, fing an sich zu bewegen, rollte auf, das Fenster öffnete sich, und Lodoiska beugte sich heraus. – Sie errötete im dunkelsten Purpur, als sie die drei jungen Männer erblickte; aber auch Jaromirs Wangen wurden von einer dunkeln Glut überflogen, und er geriet in eine solche Verwirrung, daß er fast zu grüßen versäumte, als Bernhard und Ludwig sich schon hinaufblickend verbeugt hatten.
»Ei, Gräfin,« sprach Bernhard mit Freiheit, »fürchten Sie die Morgenluft nicht? Kenner behaupten, sie sei der Schönheit nicht günstig!« – »Ich bin fast immer so früh im Garten«, sprach Lodoiska etwas befangen. – »So müssen die Kenner im größten Irrtum sein«, fiel Bernhard mit rascher Galanterie ein. Lodoiska senkte das schöne Auge mit Anmut und lächelte, aber erwiderte nichts.
Die Freunde grüßten nochmals hinauf und erhielten einen freundlichen Dank; dann verschwand Lodoiska vom Fenster und sie setzten ihren Weg
Weitere Kostenlose Bücher