1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
fort. Ein Blick in Jaromirs Auge mußte einem so scharfen Kenner menschlicher Züge wie Bernhard sein ganzes Herz verraten. Er liebte, er wurde geliebt, das las sich in seiner und ihrer holden Freude, obwohl beide jetzt eben kein Wort miteinander gewechselt hatten. Aus der Lage der Gemächer erriet Bernhard auch sogleich, daß es niemand anders als Lodoiska gewesen sein konnte, die er gestern abend im Speisesaal gesehen. »Hm!« sprach er und blickte Jaromir im Scherz, aber prüfend an, »die junge Gräfin scheint am spätesten und am frühesten hier zu wachen im Hause. Wenn mich nicht alles täuscht, so habe ich sie gestern als eine Geistergestalt gesehen.« – »Was sahst du?« fiel Jaromir rasch ein; »was, ich bitte dich?« – »Wie, hättest du Gespensterfurcht?« fragte Bernhard ein wenig spöttisch. – »O laß den Scherz,« unterbrach ihn Jaromir halb unwillig, halb bittend; »sage mir, was du gesehen, es liegt mir etwas daran!«
»Ich sah lange nach Mitternacht,« sprach Bernhard bedeutsam betonend, »die Zimmertür eines jungen Offiziers offenstehen, und er selbst, so müde er von der Reise sein konnte, wachte noch.« – »Hast du gelauscht, Bernhard, ich bitte dich«, rief Jaromir. – »Ei, was ein böses Gewissen nicht tut!« lautete die scherzende Antwort. »Gelauscht? Nein! Aber ich sah Gespenster, weiße Frauen, verschleierte, geheimnisvolle Gestalten.«
»Ich werde ganz neugierig«, sprach Ludwig. »Gespenster? Abenteuer? Laß doch hören!«– »Liebe Freunde!« rief Jaromir, ohne Bernhards Antwort abzuwarten, und faßte beider Hände, »ich will ganz aufrichtig gegen euch sein, denn ich sehe, ich bin halb verraten. Aber schwört mir Stillschweigen, wenn euch mein Glück lieb ist.« – »Herzlich gern«, antwortete Ludwig und gab ihm die Hand. – »Beim Styx,« schwur Bernhard und tat desgleichen, »obwohl ich's kaum nötig hätte, da ich schon alles zuvor weiß und errate. Aber erzähle!«
Jaromir begann: »Lodoiska war die Gespielin meiner Jugend; sie ist meine nächste Verwandte. Wir haben unendlich glückliche Tage auf dem Landsitze ihres Vaters am Narew zugebracht. Soll ich es euch gestehen, daß ich, fast noch ein Knabe, die Holde schon liebte? Sie war erst dreizehn Jahre alt, als ich siebzehn zählte; aber sie blühte wie die lieblichste Rosenknospe und war schon damals so gut, so verständig, ach, tausendmal besser als ich! In dieser Zeit mußte ich mich von ihr trennen, ich wurde Soldat; das sind nun sechs Jahre her! Ich bin seitdem durch die halbe Welt verschlagen worden und habe nur im wilden Getümmel und Gebrause des Kriegs gelebt; aber glaubt ihr wohl, liebe Freunde, daß das Bild dieses zarten Kindes mich überallhin begleitet hat, daß, so mancher schönen Spanierin und reizenden Französin ich begegnete, doch keine einen tiefern Eindruck auf mein Herz machte als sie? Doch die Jahre und der Krieg verwehen viel! Wenn ich an die Heimat dachte, freilich, dann stand auch Lodoiska vor mir; aber seltener und seltener kam mir dieser Gedanke, und nachgerade verlor ich in dem ewigen Wechsel das Gefühl des Heimwehs. Wer nirgends zu Hause ist, wird gar bald überall zu Hause! Erst als wir die Türme von Warschau wiedersahen, erwachte die ganze alte Sehnsucht in mir, und auch Lodoiskas Bild schwebte lieblich und sanft wieder an meiner Seele vorüber. Aber ich konnte sie mir nur als das Kind von damals denken; zwar sagte ich es mir selbst tausendmal, daß sie eine Jungfrau geworden sein müsse, doch mein Herz sah sie nur wie sonst.«
»Und mir deucht, es sah sie richtig,« unterbrach Bernhard, »denn ihre Seele ist noch die eines Kindes und leuchtet durch ihre Schönheit hindurch wie durch eine durchsichtige Hülle. So lag das unschuldige Herz nie hinter dem klaren Kristall des Auges wie bei ihr; ich verstehe das, Bester, denn ich porträtierte manchen Engel, aber leider auch manchen Satan!«
»Du sprichst, als nähmest du die Worte aus meiner Seele«, rief Jaromir mit lebhaftem Ausdruck der Freude und hörte nicht auf den Zusatz, womit Bernhard die muntere Karikaturlarve auf die entgegengesetzte Seite des ernsten Profils zeichnete. »Deshalb waren wir auch gleich wieder so vertraut wie an dem Tage, wo wir uns trennten. Als wir gestern auseinandergingen, war ich daher ganz mißmutig, es quälten mich beunruhigende Gedanken, ich wußte nicht, was mir fehlte. Der Mond schien hell, die Nacht war so lau, ich lehnte mich ins Fenster; da sah ich eine weiße Gestalt durch die dunkeln
Weitere Kostenlose Bücher