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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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schon an der Melodie erkannt hatten. Sie gab daher den Bitten Alisettens nach, ließ sich von dieser, wiewohl ein wenig befangen, an das Instrument führen, setzte sich und begann:
Einsam wandle ich so gerne,
Suche mir den stillsten Weg;
Von den Frohen bleib' ich ferne,
Liebe Waldes dunklen Steg;
An der Felsenwand,
An des Bächleins Rand,
Setze ich mich sinnend nieder: –
Wann, ach wann kehrst du mir wieder!
     
Auf der Lüfte linden Schwingen
Kehrt der holde Lenz zurück;
Alles wird er wiederbringen,
Alle Lust und alles Glück.
In dem dunkeln Hain,
Selig, traut allein,
Tönen neu die alten Lieder –
Wann, ach wann kehrst du mir wieder!
     
Wenn die kleinen Schwalben fliehen
Unser traulich stilles Dach,
Möchte ich beflügelt ziehen
In die fernsten Lande nach.
Ob die Lippe bleicht,
Bis ich dich erreicht,
Senk' ich nimmer mein Gefieder –
Wann, o wann kehrst du mir wieder!
     
Wie des Bächlein« Wellen fließen
Fort und fort bis an das Meer,
Werde Tränen ich vergießen,
Und sie trocknen nimmermehr.
Säumest du noch lang,
Bricht mein Herze bang,
Legt das müde Haupt sich nieder –
Wann, ach wann kehrst du mir wieder!
     
    Lodoiska hatte eine sanfte, ungemein rührende Stimme, der sie aus Schüchternheit nur ganz leise Töne entlockte, welche aber in ihrem reinen Ansprechen den bebenden, verwehenden Klängen der Äolsharfe glichen. Verbunden mit dem leichten Erröten des edeln Angesichts, weil die Worte geheime Regungen ihres Herzens auszusprechen schienen, brachte ihr Gesang eine ganz eigentümliche Wirkung hervor. Es war die Jungfräulichkeit selbst, die sich hier gewissermaßen in Tönen darstellte; nicht ein Kunstwerk, sondern ein holdes Bild der Natur, welches diese in heiligen Momenten schuf und mit allen rührenden Reizen des Lebens ausstattete. Es ließ sich leicht erklären, weshalb Lodoiska das Lied, welches sie gestern noch ganz unbefangen gesungen haben würde, heute mit einiger Schüchternheit vortrug. Denn da seit wenigen Stunden in ihrem Herzen die ersten Keime zu einer besondern Beziehung der Worte auf ihr eigenes Leben zu sprossen begannen, so brachte dies dunkle Ahnen jene Scheu hervor, welche sie sonst nicht gekannt haben würde. Der Mann ist leichter geneigt als die Jungfrau, in Zufälligkeiten Absichten zu suchen, wenn diese seinen Wünschen entsprechen; deshalb wagte Jaromir, und sein Herz schlug dabei in überschwenglicher Freude, diese Worte für sich zu deuten. Er bedachte, daß sie, wie Françoise erwähnt hatte, dieses Lied in einsamen Stunden der Nacht gesungen; hatte sie dabei an ihn gedacht? Ja, ja! sagte er sich und glaubte, was seine heißesten Wünsche waren. Dieses vermeinte Entgegenkommen ihrer Liebe entflammte die seinige daher schnell zur mächtigen Glut; ihm ward das seltene Glück, nicht zu zweifeln, ob die Geliebte auch ihm hold gesinnt sei, sondern er glaubte ihr Herz schon enthüllt zu sehen. Freilich nicht durch die Tat, denn sie trug es wie die Rose in der innersten Blüte verborgen, sondern die Hand eines lenkenden Geschicks streifte die zarten Blätter des Kelches auseinander und zeigte das Kleinod, welches er verschloß; dem diamantenen Tautropfen gleich glänzte es im tiefen Blütenschoß und strahlte alle schönsten Farben des Weltalls verklärt wider; und mitten in ihrer schimmernden Hülle glaubte Jaromir sein Bild schweben zu sehen.
    Es war nicht gedankenlose, gemütsarme Eitelkeit, die ihn zu diesem Erraten führte, sondern der starke Glaube des liebenden Herzens, die kühne Hoffnung der Jugend, welche heiße Wünsche und süße Erfüllungen in glücklicher Täuschung zu verwechseln vermag. Hier aber täuschte er sich nicht, wenn er auch vielleicht mehr erraten hatte, als verraten wurde, ja als Lodoiska zu verraten vermochte, da für sie selbst ihr Herz noch klösterlich verschleiert war.
    Der Wunsch des Obersten, den die Musik mehr unterhielt als bewegte, trug auf ein Duett an; doch Lodoiska sprach ein sanftes, aber entschiedenes Nein. Es blieb dem Obersten, der sich nicht sogleich ergeben wollte, keine Zeit zu einer Bestürmung, nachdem sein erster Versuch zurückgeschlagen war; denn die Gräfin unterbrach ihn mit der Aufforderung, sie zu Tisch zu führen. Er reichte ihr höflich den Arm; Jaromir bot den seinigen Lodoiska dar, Ludwig, der einer der ältern Damen nahe stand, führte diese, und Bernhard nahm Alisetten an den linken, die andere, noch allein übrige Freundin der Gräfin an den rechten Arm. »Sie führe ich auf der Seite, wo mein Herz schlägt«,

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