1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
Gebüsche des Gartens schweben. Wenn sie es wäre, dachte ich, und du könntest sie noch ein wenig sprechen! Ich flog hinab, suchte sie in allen schattigen Wegen, doch vergeblich. Da hörte ich plötzlich ganz leise in der Ferne die Töne des Liedchens, das sie uns abends gesungen; ich ging den Klängen nach und entdeckte das holde Wesen in einer Laube bei dem Springbrunnen. Anfangs wollte ich lauschen; doch schnell wurde ich unwillig auf mich selbst, ging näher, trat plötzlich vor sie hin und redete sie an.«
»Du warst sehr kühn, lieber Freund,« unterbrach Ludwig mit dem sanften Ton teilnehmender Bedenklichkeit; »du hättest damit viel verscherzen können.« – »Jetzt weiß ich's auch, wahrlich; aber gestern mußte ich, ich konnte nicht anders, wahrhaftig nicht!« erwiderte Jaromir und sah überaus redlich und glücklich aus.
»Habeas absolutionem, sed confiteri pergas,« sprach Bernhard gravitätisch; »ich glaube, ich hätte es ebenso gemacht. Aber die Gräfin, was tat sie?«
»Sie war erschrocken, sie zürnte, bat –«
»Ich kenne das,« unterbrach Bernhard; »ist man nicht schon vollends des Teufels vor Liebe, so wird man's danach. Weiter!«
»Aber sie reichte mir die Hand und war so himmelgütig – und –« Das jugendliche Herz Jaromirs wallte über, die vollste Seligkeit leuchtete ihm aus den Augen, zu sprechen vermochte er nicht weiter, aber er fiel Bernhard, er fiel Ludwig um den Hals und drückte heiße Küsse auf ihre Lippen. »Ludwig,« rief er aus, »sie will die Meine sein; süß widerstrebend gab sie mir das holde Wort, aber vertrieb mich gleich danach mit ängstlicher Hast. Jetzt vielleicht schon öffnet sie ihr reines Herz der Mutter; o Freunde, kann man denn glückseliger sein?«
Jaromir, der sich ganz den brausenden Wellen der Jugend und Liebe hingab, bemerkte nicht, wie ernst und tief bewegt Ludwig war, ja, wie selbst über Bernhards Stirn sich dunkle Falten zogen. Jener dachte an seine Liebe, die wie ein zerrinnendes Traumbild aus der Wirklichkeit seines Daseins verschwunden war; er hielt die Schattengestalt seines schmerzlichen Glücks gegen die lebendige, blütengekränzte, welche dem Jüngling an seiner Seite entgegentrat. Bernhard empfand vielleicht noch einen herbern Schmerz, weil die Liebe in seiner Brust dunkler und tiefer vergraben war. Für Ludwig glich sie einer unter dem Horizont versenkten Sonne, deren Abendröte die ganze Nacht hindurch nachschimmert, bis ein heller Morgen anbricht und das liebliche Gestirn wieder heraufführt; für Bernhard war sie nur ein schöner, unerreichbarer Stern, der die Strahlen in den tiefsten Schacht der einsamen Brust hinabsendet, ohne sie zu erleuchten. Hätte Jaromir ihn besser gekannt, ihn überhaupt in seiner tiefsten Tiefe zu verstehen vermocht, so würde er aus seiner Antwort sein Inneres begriffen haben.
»Glück zu!« sprach er und schüttelte ihm die Hand; »du darfst selig sein, wenigstens glücklich oder vergnügt, oder doch leidlich gelaunt. Weiche Arme sind eine sanfte Fessel, aber sie bleiben eine. Ein Käfig ist ein Käfig, sei er so eng wie der Vogelbauer, in dem Johann von Leiden am Turm zu Münster hing, oder so finster wie die schwarze Höhle in Indien, oder beides zugleich, wie das Loch, in dem wir alle stecken. Ich meine die Erde, nämlich die, auf der wir scheinlebendig umherwandeln, nicht das unermeßlich weite Grab – kurz, wie gesagt, Fesseln sind Fesseln, und man sollte froher sein, daß man noch ein paar ungelähmte Flügel hat zum Aufflattern. Was wollt ich aber sagen? Ja, nun verstehe ich auch meine Geistererscheinung, die ich hatte, als ich selbst umging und im Ahnensaal spukte.« Jaromir horchte gespannt auf; Bernhard erzählte sein Abenteuer im Saale, stellte sich aber dabei nur als einen Sonderling dar, der gern nachts in fremden Gebäuden umherschleiche, und tat weder der Ursache, die ihn getrieben, Erwähnung, noch des Verdachts, den er über Alisetten gefaßt.
Unter diesen Gesprächen hatten die Freunde das Ziel ihres Weges erreicht, nämlich den Exerzierplatz, wo Bernhard und Ludwig für jetzt den wirklichen Dienst beginnen, ihn in seinen kleinsten Anfängen erlernen sollten. Man fand bereits Reiter und Unteroffiziere zweier unvollständigen Schwadronen polnischer Lanciers, die den Stamm des neuen Regiments zu bilden bestimmt waren, versammelt. Jaromirs vorläufige Aufgabe bestand darin, aus diesen Trümmern ein Ganzes zu bilden. Währenddessen übergab er seine Freunde einem alten tüchtigen
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