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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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übrigen, wahrhaft olympischen Empfange entspricht.«
    Ludwig nahm Bernhards Hand, wünschte ihm eine gute Nacht und ging in sein Zimmer. Bernhard fühlte den Geist des edeln Tokaier, den er nicht sparsam getrunken hatte, noch zu feurig in seinen Adern, um sich dem trägen Schlaf überlassen zu können. Er trat ans Fenster, öffnete es und blickte nach dem Garten hinaus, an dem der eine Seitenflügel des Palastes sich hinunterzog. Ein kühler Abendwind rauschte in den Bäumen und wiegte die Büsche leicht hin und her; der Mond stand tief und warf daher den finstern Schatten des Gebäudes weit über den grünen Gartenteppich hin. Da aber, wo sein Strahl durch nichts verhüllt wurde, beleuchtete er die Wege und Rasenplätze fast mit Tageshelle. Bernhard erinnerte sich, daß Alisette ihm bei Tische gesagt hatte: »Hier sitzen wir gerade meinen Fenstern gegenüber, in welche die ganze Nacht der Mond freundlich hineinscheint.« Es fiel ihm ein, ob er wohl den Versuch machen sollte, sich in den Speisesaal, der auf dem entgegengesetzten Flügel des Palastes lag, zu schleichen und die Fenster des schönen Mädchens ein wenig zu belauschen. Von seinen Entschlüssen bis zur Ausführung pflegte nicht weit zu sein; er warf sich daher in den Überrock und verließ leise das Gemach. Nur eine einzige matte Lampe flimmerte am Ende des Korridors. Er horchte vorsichtig auf, ob auch alles still sei; es ließ sich in dem ganzen weiten Gebäude kein Laut vernehmen. Mit leisen Schritten ging er auf die Lampe, die im Haupttreppengewölbe brannte und auf diese Weise ihr Licht nach beiden Flügeln warf, zu. Ohne irgend jemand zu begegnen, gelangte er an der ganzen Hauptfront hinunter bis zu dem andern Seitenflügel; an der Stelle, wo der Korridor die Ecke schlug, brannte eine zweite, dem Verlöschen jedoch nahe Lampe. Sie leuchtete indessen noch so viel, um die einzelnen Türen, welche aus dem Gange in die Gemächer führten, zu erkennen. Die dritte war die des Speisesaals; dies hatte sich Bernhard, der sehr viel Aufmerksamkeit und Gedächtnis, besonders für architektonische Ortsverhältnisse besaß, genau gemerkt. Leise klinkte er an, um zu versuchen, ob die Tür verschlossen sei; sie war es nicht, er trat ein und stand nun in dem großen, dunkeln Saale, dessen weiße, zugezogene Fenstervorhänge bleichen Gespenstern glichen, ganz allein. So leise er ging, verursachte sein Schritt in dem weiten Raume doch einen flüsternden, schauerlichen Widerhall. Behutsam näherte er sich einem Fenster, teilte die Vorhänge ein wenig und blickte hinüber. Gerade vor ihm lag in der nicht breiten Straße, deren gegenüberstehende Häuserreihe vom Monde beleuchtet wurde, ein kleines Haus, in welchem die Fenster des zweiten Stockwerks durch Jalousien verschlossen waren. Der Schatten des Palastes fiel so weit hinüber, daß der untere Teil des Hauses noch ganz damit bedeckt wurde. Sowenig man daher jemand im Erdgeschoß oder in der Haustür erkennen konnte, um so deutlicher unterschied man die Gegenstände da, wo das helle Mondlicht sie bestrahlte. Der Beschreibung nach war Alisettens Wohnung in diesem Hause, und ihre Fenster waren die des Mittlern Stockwerks. Bernhards scharfes Auge sah zwischen den Jalousien Licht hindurchschimmern, und ein sich bewegender Schatten gab ihm die Gewißheit, daß noch jemand auf sein müsse.
    Plötzlich hörte er das Geräusch eines, obwohl mit Vorsicht im Schloß umgedrehten Schlüssels; die Haustür gegenüber öffnete sich leise, und eine lange Gestalt, die sich dicht in den Mantel verhüllt hatte, trat eilig heraus und verschwand sogleich in dem Schatten des Palastes. Sie schritt quer über die Gasse und schlich sich hierauf unter den Fenstern des Saales fort, so daß Bernhard die Richtung, welche sie nahm, nicht mit dem Auge verfolgen und auch nicht einmal aus dem Schalle der Schritte erraten konnte, indem der Unbekannte mit äußerster Behutsamkeit so leise auftrat, daß man trotz der Stille der Nacht ihn nicht gehen hörte. Bernhard war fast betroffen über seine Entdeckung, die, in Verbindung mit manchen andern Bemerkungen und Vermutungen, zu denen Françoise ihm Gelegenheit gegeben hatte, ihm den Gedanken aufdrang, jener Unbekannte sei niemand anders als der Oberst, der einen späten Besuch bei der leichtfertigen Schönen gemacht hatte. Mit Adlerblicken hielt er jetzt die Fenster Alisettens bewacht, ob sie sich vielleicht noch zeigen und dadurch seinen Verdacht bestärken sollte. Indessen blieb alles still; der

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