1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
wenigen Wochen zu Petersburg in ihre Dienste genommen hatte, harrte noch im Vorsaale auf die Befehle ihrer Gebieterin. Sie geleitete Axinia bis an die Pforte hinab, die der alte Schließer mürrisch öffnete. Der Ordnung des Hauses gemäß, die um so strenger beobachtet wurde, da der Herr eben wiedergekehrt war, befanden sich alle Diener und Beamte schon in ihren Wohnungen. So gern daher Axinia ihren Freund von der glücklichen Wendung ihres Geschicks unterrichtet hätte, so bestimmt sie wußte, daß er bange darauf geharrt hatte, so war es doch heute nicht mehr möglich für sie; durch die späte Stunde ein wenig ängstlich, schlüpfte sie daher der Hütte ihres Vaters zu, in der sie seit einem Monat die erste Nacht zubrachte, ohne wachend in hoffnungslosem Jammer auf ihrem Lager zu sitzen.
Drittes Kapitel.
Feodorowna war spät entschlummert; sie erwachte daher erst, als die Sonne schon hoch am Himmel stand. Da sie ihrem Mädchen klingelte, trat diese ängstlich mit Tränen in den Augen ein. »Was hast du, Jeannette?« fragte sie erstaunt.
»Ach, gnädigste Gräfin, wie schrecklich wird man in diesem Lande gemißhandelt! Der unglückliche Mensch wird diese Strafe nicht überleben!«
»Wer?« fragte Feodorowna erstaunt; »was ist geschehen? Wer wird mißhandelt?« Unter Zittern und Schluchzen stotterte Jeannette die Worte heraus: »Der Graf ist gar zu aufgebracht! O Himmel, wenn es mir einmal so ergehen sollte! Das junge Blut – und vierzig Knutenhiebe! Er stürzte ja schon leichenblaß zu Boden, als der Graf den Befehl gab.«
Feodorowna war mehr tot als lebendig. »Wer? wer?« rief sie außer sich und trat erblassend zurück, als Jeannette den Namen des Gärtners Paul nannte. Das Mädchen sprang der Gebieterin, die in Ohnmacht zu sinken drohte, zu Hilfe. Doch nur wenige Augenblicke dauerte Feodorownas halbe Betäubung; dann ermannte sie sich mit gewaltsamer Anstrengung und rief: »Gib sogleich Befehl, die Leute sollen einhalten, ich verantworte es! Eile, eile hinab, ehe es zu spät wird.« Jeannette flog wie ein Reh durch den Vorsaal, die Stufen hinunter, in den Hof, wo drei Knechte eben beschäftigt waren, den Unglücklichen an den Marterpfahl zu binden. Indes kleidete sich Feodorowna in der höchsten Eile an, warf einen Schal über und eilte mit schwankenden Schritten, denn sie ahnte die Veranlassung dieses Unfalls nur zu richtig, zu dem Vater hinüber. Sie fand ihn in der heftigsten Aufregung in seinem Zimmer auf und nieder gehend. Er empfing die Eintretende mit finstern Blicken und den rauhen Worten: »Was willst du?«
»Gnade für einen Unglücklichen, mein Vater! O, nehmen Sie Ihr rasches Wort zurück; es war nicht Ihr menschliches Herz, welches dieses grausenvolle Urteil aussprach.«
»Kennst du sein Verbrechen?« rief der Graf und rollte zornig die Augen. »Alle diese Fremden sind Heuchler und Verräter; die Stunde ist gekommen, wo die Rache sie ereilt. Sie trotzen darauf, daß unser Gesetz sie nicht trifft; sie sollen wenigstens erfahren, daß unsere Macht sie strafen kann, und daß diejenigen, welche keinem Gesetz gehorchen wollen, auch von keinem beschützt werden. Ließe ich einen solchen Frevel an der geheiligten Person des Herrn unbestraft, ich wäre wert, daß meine Vasallen mich verachteten. Die Hand gegen seinen Gebieter aufzuheben! Es fehlte nur, daß eine Tochter, die den kindlichen Gehorsam verleugnet, sich noch verbrecherischer und aufrührerischer Knechte annähme!«
Feodorowna, so sehr sie durch diese rauhe Entgegnung zurückgeschreckt war, verlor doch den Mut nicht, sondern nahte sich dem Vater noch einmal mit rührender Bitte: »Ich kenne das Vergehen des Unglücklichen nicht, ich weiß nur, daß seine Strafe grausenvoll, daß sie entsetzlich ist. Haben die sanftern Sitten fremder Länder Sie nicht entwöhnt, mein Vater, von dem blutig strengen Gesetze das über den Bewohnern dieses Landes waltet? Ich hatte es ohnehin heute im Sinne, Ihr Herz zu einer milden Handlung der Gnade für diesen Unglücklichen zu bewegen. Sein Los knüpft sich an das–«
»Ich glaube, du bist im Einverständnis mit meinen zuchtlosen Dienern«, rief der Graf entrüstet. »Also kennst du schon früher als ich die Verbrechen, welche hier verübt wurden? Wer hat es gewagt, meine Tochter zur Vertrauten von Verbrechen zu machen, die das jungfräuliche Ohr nicht nennen hören sollte?«
Feodorowna errötete vor Unwillen und Beschämung zugleich; sie wollte im Gefühl ihrer Würde erwidern, doch bezwang sie die
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