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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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Marmortreppe hinanfliegen, durch die Schar der Diener unaufhaltsam bis zum Zimmer des Grafen vordringen und hineinstürzen, war das Werk weniger Augenblicke gewesen. Glücklicherweise war Jeannette noch zur rechten Zeit mit Feodorownas Befehl, Pauls Strafe aufzuschieben, eingetroffen. Jetzt hatte man ihn losgebunden und in ein kleines Zimmer geführt, wo er als Gefangener bewacht wurde. Axinia hegte anfangs noch einige Besorgnisse um ihn, indessen gab Feodorowna ihr die heilige Versicherung, daß sie nun nichts mehr zu fürchten habe; zugleich sandte sie, da sie sich der Vollmacht ihres Handelns gewiß fühlte, durch Jeannette den Befehl hinüber, Paul sofort freizulassen und ihn zu ihr zu senden.
    Dolgorow ließ seine Tochter zu sich bitten. Sie ging erschüttert, aber gefaßt, bleich, aber ohne Tränen. Die Eltern waren allein. Sie fand den Vater freundlicher als jemals, auch die Mutter zeigte sich gütig. »Du willst nun gehorsam sein, willst unsere Wünsche erfüllen, Feodorowna?« sprach sie sanft. Es war seit Monden der erste Laut der Liebe aus dem mütterlichen, sonst so heiß von der Tochter geliebten und verehrten Herzen.
    »Ja, meine Mutter,« entgegnete sie, »ich will jetzt das Glück meines Lebens einer Pflicht opfern, von der mich nichts loszusprechen vermochte. Allein ich mache es mir zur unerläßlichen Bedingung, daß ich über das Schicksal der Unglücklichen jetzt völlig frei bestimmen darf.«
    »Es sei dir gewährt«, sprach Dolgorow fast mit dem Ausdruck der Güte.
    »Noch eine zweite Bedingung muß ich mir machen«, fuhr Feodorowna fort. »Den Schritt, welchen ich zu tun im Begriff bin, muß ich mit Fassung, mit weiblicher Würde vollführen; ich darf auch nicht mit dem zerstörten Antlitz des Schmerzes zu meinem Bräutigam treten, denn meine Züge würden dem Ja meiner Lippen zu schroff widersprechen. Es müßte ihn beleidigen, und das will ich nicht; denn von dem Augenblicke an, wo ich ihn zum Gatten wähle, bin ich ihm Achtung schuldig; mein zu heftiger Schmerz würde diese verletzen. Darum verlange ich drei Tage, um mein Herz zu fassen, meine Seele ernst zu sammeln; der fromme Zuspruch des Vater Gregor wird mir in diesem schweren Kampfe hilfreich zur Seite stehen. Mit der Sonne des vierten Tages bin ich bereit, den Verlobungsring mit dem Grafen zu wechseln; bis dahin lasse man mich in meiner Einsamkeit.«
    »Auch dies sei dir gewährt,« sprach der Vater; »du weißt, deine Eltern haben dich stets geliebt, und nur dein starrer, unbegreiflicher Ungehorsam konnte ihr Herz von dir abwenden.« .
    Feodorowna richtete ihr Auge gen Himmel und seufzte leise. O wie gern hätte sie diesen Worten Glauben geschenkt; allein sie fühlte, es war unmöglich, denn die Tat widersprach ihnen zu hart. Wie hätten liebende Eltern ihr Kind der jahrelangen, stummen Qual übergeben können? Auch war kein Blick der Liebe in ihren Augen zu lesen, sondern nur das Wort ahmte tote Formen der Neigung nach.
    Sie ging zurück auf ihr Gemach.
    Im Vorzimmer traf sie Paul bleich, mit kummervollen Zügen an, denn er war zu furchtbar von dem Sturm gewaltiger Leidenschaften auf und nieder geschleudert worden, um aus einem leichten Schimmer der Hoffnung Mut schöpfen zu können. Erst jetzt gab ihm Feodorowna durch die Versicherung das Leben wieder, daß sein Schicksal ganz in ihrer Hand liege. Sie hieß ihn ihr folgen; im Gemach führte sie ihn selbst zu der selig errötenden Axinia, legte ihre Hände ineinander und sprach: »Seid glücklich! Ihr waret nicht ohne Schuld, doch ihr habt sie schwer gebüßt. Weihet nun euere Liebe durch den geheiligten Bund der Ehe. Dann aber, Paul, verlasse dieses Land und kehre zurück in deine Heimat. Wehe dem, der es Vaterland nennen muß; wohl dem, der eine andere Heimat kennt! Beschützen kann ich euch nur, solange ich hier bei euch verweile; es werden vielleicht nur wenige Wochen sein. Drum sobald der Pfad euch offen steht, ziehet hin in Länder, wo ein mildes Gesetz über allen gleich waltet. Jetzt laßt mich, geht, seid glücklich.«
    Sie wandte sich ab, um den Schmerz zu verbergen, der sie überwältigte.
    Axinia sprach, indem sie ihre Hand ergriff, schüchtern, doch mit dem Ausdruck der innigsten Liebe: »Habt ihr mir auch ganz vergeben? Ach, verdiene ich es denn auch? O, seht mich noch einmal gütig an!«
    Feodorowna wandte sich um; sie blickte sie, durch ihre Tränen, freundlich an. »Dein Herz ist lauter! Du liebst! Um der Liebe willen wird uns viel vergeben. Ich vergebe dir alles.

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