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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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früh, oder wenn du willst, erwarte mich hier auf meinem Zimmer bis nach dem Abendessen. Es bleibt so jetzt die ganze Nacht hindurch hell, und Kathinka bestellt wohl bei deinem Vater, daß du später kommst.«
    Dankbar ergriff Axinia die Hand ihrer milden Wohltäterin, küßte sie mit innigster Liebe und bat mit kaum hörbaren Worten, bleiben zu dürfen. Feodorowna eilte indessen hinab, um den Vater nicht warten zu lassen. Sie trat in den Saal, wo schon die Abendtafel gedeckt wurde; der Vater hörte ihre Entschuldigung wegen des längern Verweilens finster aber schweigend an, Ochalskoi sagte ihr einige höfliche Worte, jedoch in jenem kalten Tone, welcher stets einen richtigern Maßstab für das Gesagte ergibt als die Worte selbst. Man ging zur Tafel; die Unterhaltung war einsilbig und frostig. Das unbehagliche Gefühl des innern Zwiespalts unter den Anwesenden lähmte jede freiere und wärmere Ergießung der Brust. Selbst Gregor vermochte nicht das liebevolle Entgegenkommen seiner Schülerin so herzlich zu erwidern, als nach langer Abwesenheit zu geschehen pflegte; denn auch ihn drückte der niederschlagende Gedanke an die Mitteilungen, welche der Vater ihm gemacht hatte. So wurde die Tafel bald aufgehoben, und man begrüßte sich so kalt, als man beisammengesessen hatte. Gregor ging; der Greis nahm einen herzlich wehmütigen Abschied von Feodorowna, Seine mitleidigen Blicke bewegten sie, denn sie verstand sie richtig. O Gott, alle Qualen ihrer Seele stammten von den Eltern, denen sie ihr ganzes Leben hindurch nur die heißeste Liebe gezeigt, ihnen tausend Opfer gebracht hatte! Um ihre Tränen zu verbergen, trat sie in eins der Fenster und blickte auf die Landschaft hinaus, welche noch immer in dem rötlichen Dämmerscheine des Abendhimmels glühte, da die Sonne in diesen nördlichen Gegenden kaum ein wenig unter den Horizont taucht, so daß Abend- und Morgenröte ineinanderschmelzen und mit ihrem Rosenschimmer die ganze laue Juniusnacht erhellen. Der Strom zog in golden flutender Bahn zwischen seinen Hügelufern dahin; zwei Fischernachen wiegten sich leicht auf der Welle; ein Geier mit breiten ausgespannten Flügeln schwebte majestätisch, hoch über den Waldgipfeln des jenseitigen Ufers; die Türme der Festung Smolensk ragten wie schwarze Basaltfelsen aus dem goldenen See des Abendhimmels empor. Eine feierliche Stille waltete über der ganzen Landschaft. Feodorowna blickte wehmütig über die Fluren hin, wo sie die Tage der Kindheit verlebt hatte. »Ach,« seufzte sie still, »ist denn mein Herz eine fremde Pflanze auf diesem Boden? Hat er es nicht genährt? Oder haben mich sanftere Sitten und ein milderer Himmel so entartet, daß ich nicht mehr tauge für den rauhen Norden? Die Wiege meiner Tage sieht mich nicht lächelnd an wie sonst, sondern düster, als solle sie zu meinem Grabe werden. Ist denn nichts wahr und ewig in der Natur? Trügen selbst die heiligsten Bande? Gütiger Gott, vergib mir, aber wie der Boden der Heimat mir fremd geworden, so scheint mir's auch, als ob der heilige Quell meines Lebens sich trübe, als ob das Herz des Kindes den Eltern nicht mehr warm und frei entgegenzuschlagen vermöge! Kalt wie eine Schlange umschlingt dies Gefühl meine Brust! Wäre es denn wahr, daß es nur noch eine Pflicht der Liebe für mich gäbe, aber daß ihre lebendigen Wurzeln selbst erstorben sind? Nein, nein! Es kann, es darf nicht sein, es ist nur der ewige Feind, der mich täuschen will. Die Natur ist heilig, wahr, redlich; nur unser Herz entartet. Himmlische Mutter Gottes, läutere das meine, flöße ihm die alte heilige Liebe wieder ein, in der das schuldlose Kind so glücklich war.«
    Ein großer, liebender Entschluß war in diesem Augenblick in ihrer Seele gereift; sie wollte sich bittend, reuig, weinend zu den Füßen des Vaters und der Mutter werfen und von ihrer Liebe erflehen, was sie bereits durch Festigkeit zu erringen sich vorgenommen hatte. Schnell wandte sie sich um; da sah sie den Saal leer, nur die Diener waren noch beschäftigt, die Tafel abzuräumen. Ihre Eltern, Fürst Ochalskoi hatten sich bereits gleichgültig, ohne Nachtgruß entfernt; der letztere wohl nur, weil Dolgorow ihn zu einem vertrauten Gespräch an den Arm genommen und mit in sein Gemach geführt hatte. Von dem Schauer des Unbehagens berührt, den plötzlichen, vollen Erguß ihrer Seele so störend gehemmt zu sehen, kostete es Feodorowna Mühe, die äußere Fassung zu behalten. Da drang plötzlich der Gedanke sanft tröstend in

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