1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
schon längst eine Neigung zu der anmutigen Axinia, der sich jedoch ihr Vater Wasiliew widersetzte, weil der Graf abwesend und dessen Erlaubnis unumgänglich notwendig war. Sein Aufenthalt war aber damals den Bewohnern seiner Güter unbekannt, indem er schon seit Jahren durch die entferntesten Länder Europas reiste. Zugleich trug der Alte Bedenken, weil Paul sich zur protestantischen Religion bekannte. Indessen hatte Axinia ihm ihre innigste Liebe zugewendet, und beide unterhielten lange ein geheimes, süßes Verständnis. Als nun der keimende Frühling alle Triebe mit süßen Kräften schwellte, wurde auch in den jugendlichen Herzen die Leidenschaft mächtiger als das strenge Gebot der Pflicht. Paul, der seinem deutschen Herzen die knechtischen Gesinnungen der Leibeigenen nicht einzupflanzen vermochte, glaubte überdies ein Recht des freien Menschen üben zu dürfen und wähnte, wenn Axinia erst durch die Bande der Liebe sein Weib sei, so müsse sich auch das Gesetz seinem Willen fügen. Mit kühnem Ungestüm bedrängte er das weiche, hingebende Mädchen; ihr widerstehender Wille ermattete und löste sich kraftlos auf in dem süßen Rausche des Herzens. Sein glühendes Bitten, seine brennenden Küsse siegten über ihre Tränen, über ihre bangen Seufzer. Zu spät erwachte sie aus der qualvoll seligen Betäubung, und mit Entsetzen sah sie nun das wahre Antlitz der Tat, erkannte die Natter, die sich unter den Rosen ringelte, auf denen sie entschlummert war.
Die stumme Todesangst in der Brust, barg sie sich scheu im Hause des Vaters und sah selbst den Geliebten nicht mehr. Angstvolle Nächte folgten den Tagen der Qual. So verstrich ein voller Monat. Paul ging indessen stumm, verstört umher. Die Nachricht, daß der Graf komme, gab ihm das Leben wieder. Dem Herrn, der ihn liebte, wollte er alles gestehen, von seiner Gunst die Geliebte erbitten. Unter die Landleute gemischt, eilte er ihm voll banger Hoffnungen entgegen. Da war das erste Wort, welches er hörte, das Versprechen Dolgorows, seine Geliebte, Wasiliews Tochter, mit dem Sohne des alten Iwan zu vermählen. Er wußte, daß der Graf solche Entschlüsse, solche Versprechungen nicht zurücknahm. In Todesangst eilte er zu Axinien, die still und traurig daheimgeblieben war, während die übrigen die ankommende Herrschaft begrüßten; denn sie wagte es nicht, ihrer sonst so geliebten Gebieterin vor die Augen zu treten. Während Paul in stummer Verzweiflung noch bei Axinien verweilte und beide ihres Jammers keinen Rat wußten, traf schon Feodorownas Botschaft ein, welche die Gespielin aufs Schloß berief. Von der Kraft der Liebe ermutigt, von dem immer näher herandringenden Unglück zur Notwendigkeit des Handelns getrieben, beschloß Axinia, der Gebieterin alles zu entdecken, und durch den schwachen Schimmer der Hoffnung, der sich an diesen Entschluß knüpfte, aufgerichtet, ging sie aufs Schloß. Sie hatte ihn nun vollführt, und für ihr Unglück eine tröstende Teilnahme, für ihren Fehltritt eine milde Vergebung gefunden.
Nachdem Feodorowna die Bekenntnisse Axiniens angehört hatte, richtete sie die Verzagende durch sanften Zuspruch auf. »Es kann noch alles gut werden, Axinia; ich werde meinen Vater morgen mit dem Frühesten bitten, daß er seine Einwilligung zu deiner Verbindung mit Paul gebe; für das Versprechen, welches er dem alten Iwan gegeben, wird sich wohl eine Entschädigung finden lassen. Denkt mein Vater wie ich, so wird er deine Verbindung mit Paul für eine Pflicht halten, von der er selbst sich nicht loszusagen vermag. Du, gehe nun nach Hause, und lege dich getröstet zur Ruhe; für heute ist es zu spät, doch morgen mit dem Frühesten will ich Paul zu mir rufen lassen und selbst mit ihm sprechen. Nun gute Nacht; stille deine Tränen, Axinia, Gott hat deine Reue, deinen Schmerz gesehen; er wird dir vergeben. Und hast du bittere Tage, trostlose Nächte erdulden müssen, so glaube nur, du bist nicht die einzige Unglückliche auf dieser Erde« Schnell wandte sich Feodorowna nach diesen Worten ab, verhüllte das schöne Antlitz in ihr Tuch, sank müde in die Kissen ihres Lagers und stützte das gramgebeugte Haupt trauernd in die Hand. Axinia ergriff in gerührter Dankbarkeit die matt herabgesunkene Rechte ihrer Gebieterin, bedeckte sie stumm mit Küssen und Tränen und verließ dann leise das Gemach. Es war schon alles still im Hause, das Kammermädchen, Jeannette, eine deutsch und französisch sprechende Elsässerin, welche Feodorowna erst vor
Weitere Kostenlose Bücher