1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
Und könnte die Blüte deines Glückes nur aus meinem Grabe aufsprießen – ich würde dich segnen aus der stillen, kühlen Gruft herauf. Doch – geht, geht!« Sie verließen still das Gemach.
»Himmlische Beschützerin! Gnädig waltende Mutter Gottes!« rief Feodorowna jetzt und beugte ihre Knie vor dem Marienbilde, »gib du mir Trost und Kraft. Ich vertraue mich deiner segnenden Milde! Du wirst mich nicht verlassen in der kalten, schauerlichen Nacht des Lebens. Dein sanftes Gestirn wird mir leuchten, auch wenn der ganze Himmel sich düster verhüllt!«
Nach diesem Gebet kam eine tröstende Ruhe über ihr Herz. Segnend empfand sie es, daß es eine Hand gibt, die unsere brennendsten Wunden zu heilen vermag, ein Auge, das uns nicht verliert in der dunkelsten Tiefe des Abgrundes. Durch das graue, finster wogende Nebelgewölk ihrer Zukunft brach ein Lichtstrahl und weckte einen zarten Keim der Hoffnung in ihrer Seele. Verzage nicht, rief es ihr zu, wenn auch dein sterbliches Auge keinen Pfad mehr sieht, der dich zu einem glücklichen Ziele führen könnte; hinter diesen düstern Nebelschleiern ruht ja der Himmel in seiner ewigen Klarheit. Ein Hauch des Allmächtigen und das Gewölk zerfließt, und über dir steht das reine, blaue Gewölbe des Äthers mit seinem seligen Sonnenlicht.
Feodorowna trat ans Fenster. Der Frühling schmückte die Erde; er lieh ihr, selbst in dieser nordischen Öde, den Reiz der Jugend. Der Strom ließ sein dunkelblaues Band durch die grünen Gefilde flattern; die Wipfel der Tannen wurden von milden Lüften gewiegt; aus den Gebüschen ertönte der Gesang der Drossel; über den Feldern wirbelte die Lerche; Schwalben kreuzten über dem Spiegel des Wassers; an den steilen, grünen Hügelwänden, die sich in den Strom hinabsenken, hingen die Herden; wohin das Auge blickte, Leben, Freude, Gnade! Eben rief der feierliche Ton der Glocke zum Frühgottesdienst, denn es war Festtag! Da kam eine süße Wehmut über die Duldende. Die Bilder und Träume der Jugend drangen mit alter, heiliger Kraft in ihr Herz; ihre Tränen flossen sanft. Mit jedem Tropfen, der ihren Augen entrann, hob ihre Brust sich freier, füllte sich mehr und mehr mit gläubigem Vertrauen. »Gott ist mir nahe,« rief sie stark und freudig aus, »ich fühle seine segnende Kraft. Mut denn, Feodorowna; du hast nach seinem Gebot gehandelt, er wird dich nicht verlassen.«
So gestärkt und im Innersten gekräftigt, beschloß sie zur Kirche zu gehen und die Andacht der Landleute zu teilen.
Als sie zurückkehrte, fand sie das Schloß in lebhafter Bewegung. Das im Tor angebundene Pferd eines Kosaken unterrichtete sie schon von weitem von der Ankunft eines Boten. Es dauerte auch nicht lange, so kam der Vater zu ihr aufs Gemach und redete sie folgendermaßen an: »Du weißt, meine Tochter, daß ich meine gegebenen Versprechen streng halte; aber ich komme, mich zum Teil durch dich davon entbinden zu lassen. Du wolltest drei Tage zu deiner Sammlung haben. Gern hätte ich sie gewährt. Doch vor wenigen Minuten traf ein Bote, den mir der General sendet, mit Briefen für mich und den Fürsten Ochalskoi hier ein. Der Feind ist wirklich über den Niemen gegangen und rückt mit reißender Schnelligkeit vor. Dies zwingt uns, noch heute zur Armee abzugehen; meine Abreise ist dringend, die des Fürsten unerläßlich. Unter solchen Umständen wirst du gewiß einwilligen, dem Aufschub zu entsagen, da es mir wichtig sein muß, eine Familienangelegenheit wenigstens so weit, als dies möglich war, geordnet zu haben, bevor ich mein Leben und das deines künftigen Gemahls dem Ungewissen Schicksal einer Schlacht preisgebe.«
Nur durch die fromme Fassung, die sie errungen, war es Feodorowna möglich, dem Wunsche ihres Vaters zu entsprechen. Dennoch faßte ein innerer Schauer sie an und berührte ihr Herz mit einem kalten Entsetzen. »Wenn es denn sein muß,« sprach sie mühsam, »so bin ich bereit, zu gehorchen. Nur eine Stunde der Sammlung gönnen Sie mir, mein Vater!«
»Wir werden indessen unsere Anstalten zur Abreise treffen,« erwiderte dieser; »denn jede Minute ist jetzo wichtig. In einer Stunde werde ich zu dir senden.« Mit diesen Worten verließ er das Gemach.
Erschöpft sank Feodorowna auf einen Sessel. Sie hatte Mut zur Entsagung gehabt, doch der Augenblick der Entscheidung erneuerte alle Kämpfe ihrer zerrissenen Brust. »Noch ist die Rückkehr möglich – noch darf dieses Herz wählen –« rief sie und rang die Hände; »eine Stunde
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