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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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verrinnt und alles ist vorbei! Nein, es ist schon jetzt vorbei! denn du gabst ein unwiderrufliches Versprechen. So übe denn mit Ergebung die Pflicht, die der strenge Arm des Allmächtigen dir auferlegt. Er allein, der dein Herz zermalmt, vermag es aufzurichten, ihm vertraue dich!«
    Sie schellte. Jeannette erschien.
    »Du mußt mich zur Verlobung schmücken, Liebe,« sprach sie weich; »in einer Stunde schon spreche ich das entscheidende Wort aus.«
    Sie zitterte; das Mädchen ahnte, was ihre Gebieterin empfinde. Sie weinte still und übte schweigend ihre kleinen Pflichten.
    »Welches Kleid?« fragte sie, als Feodorowna nur noch des letzten Gewandes bedurfte.
    »Das schwarze – nein, das weiße; ich trauere ja um niemand, ich bin ja selbst die Blutende. O, wäre ich eine Braut, die man für die Gruft schmückt!« Es war ein Ausruf des tiefsten, die Seele zerreißenden Schmerzes, der sich der Duldenden entrang. Ermattet sank sie in Jeannettens Arme und weinte überwältigt an ihrer Brust.
    Nach einigen Minuten richtete sie sich sanft empor; sie wandte einen frommen Blick auf das Muttergottesbild, an welchem eben einige Sonnenstrahlen spielten. »Ein Trost, eine Hoffnung bleibt ja doch unzerstörbar in unserer Brust« sprach sie mit mildem Laut; »warum will ich denn verzagen? Nach allen Erdenmühen muß ja die Stunde kommen, wo du dein Kind mit unvergänglichem Heil beseligst.«
    Von jetzt an blieb sie ruhig. Schön wie eine Lilie mit sanft gebeugtem Kelch war sie in der weißen Seidenhülle. Sie schwebte an Jeannettens Arm hinab in den Saal. Dort harrten schon die Eltern, Ochalskoi, Gregor.
    Eine stumme Begrüßung fand statt.
    »Ich wünsche, daß der Vater Gregor meine Verlobung einsegne, wenn es auch sonst nicht gebräuchlich ist«, bat Feodorowna sanft, aber in einem Tone, der keine Abweisung zuließ.
    Gregor sprach einige Worte. Dann wurden die Verlobungsringe gewechselt, und die Braut duldete stumm die Umarmung und den Kuß dessen, dem sie sich jetzo feierlich gegeben hatte. Aber in seinen Armen erblaßte sie, seufzte leise auf, sank zusammen, und leblos mußte man sie auf ihr Gemach tragen.
    Sie blieb der Sorge der Mutter überlassen, denn schon stampften die Rosse vor dem Wagen, in welchem Dolgorow und Ochalskoi sogleich zum Heere abreisten.

Fünftes Kapitel.
    Es war am 22. Juni, als Rasinski mit seiner Reiterschar zu der Hauptkolonne der Armee, welche der Kaiser selbst führte, stieß. Ein Befehl, den er unterwegs erhalten, hatte seinen Marsch beschleunigt! Die übrigen Truppenteile, Regnards Regiment, die Artillerie und zwei Eskadrons schwerer Kavallerie, welche bei Lomza zu ihnen gestoßen waren, konnten nicht so eilig folgen. Die Sonne senkte sich eben hinter die blauen Wälder, welche den westlichen Horizont umschlossen, als man von einer Anhöhe die französische Armee zuerst gewahr wurde. In unabsehbarer Weite bedeckten die schwarzen Truppenmassen die sanfte Einsenkung, welche sich diesseit der Hügelreihen, die das Ufer des Riemen begleiten, und an dem Saume des großen Waldes von Pilwiski hinzieht. Rasinski war mit Bernhard und Ludwig, die er gewissermaßen als seine Ordonnanzen gebrauchte, etwa tausend Schritte dem Regiment vorausgeritten. »Heiliger Gott!« rief er aus, »welch eine Welt in Waffen! Seht, Freunde, seht dorthin! Über eine Meile dehnt sich die Linie dieser eng aufeinander gerückten Kolonnen aus. Und von dort herüber sind noch unzählbare Massen im Anmarsch. Welch ein ungeheuerer Geist, der so viele tausend Kräfte der einzelnen alle in dem Mittelpunkte seines Willens vereinigt! Alle Zungen Europas vernehmt ihr in diesem Feldlager. Von den Nachbarn des Ebro und des Vesuv, von den Söhnen der Alpen und Pyrenäen bis zu den slawischen Stämmen, die unsere rauhen Steppen bewohnen, hat jede Stadt, jedes Dörfchen einen Sohn hierher gesandt, und alle folgen sie in glühender Begeisterung und im stummen Gehorsam dem Wink des Führers. Sie gehorchen ihm und glauben an ihn wie an einen Gott, dem der Mensch sich beugt, auch ohne ihn zu begreifen! Seht die herrlichen Artillerieparks, welche dort am Abhänge aufgefahren sind; ich schätze die Stärke derselben auf vier- bis fünfhundert Feuerrohre, und doch ist es kaum die Hälfte von denen, welche Napoleon heranführt, um das Verderben in die feindlichen Reihen zu schleudern.«
    Rasinski hielt und sah sich aufmerksam rings um. »Hier, über jene drei Bäume hinweg, liegt Kowno; es wird mutmaßlich hartnäckig von den Russen verteidigt

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