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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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würde umkehren.« Das rings herrschende tiefe Schweigen und die Morgenstille, welche den Schall so weit fortpflanzt, bewirkte, daß die Worte von allen gehört wurden. Selbst der Kaiser, der rasch aufgesprungen war, mußte sie vernommen haben, denn er sah sich aufhorchend um, sagte jedoch nichts. Ruhig bestieg er sein Pferd wieder und setzte die Rekognoszierung fort. Er rief Rasinski in seine Nähe und sprach öfters lebhaft mit ihm. Eine gute Stunde lang ritt er, am Ufer entlang, dann wandte er um, sprengte einen Hügel hinab, winkte den Marschall Berthier zu sich und befahl, indem er mit der Hand auf den Strom deutete, daß mit der einbrechenden Abenddämmerung an drei Punkten des Ufers, die er bestimmt angab, Brücken geschlagen werden sollten. Hierauf kehrte er nach seinem Zelte zurück, und Rasinski ritt mit seinen beiden Begleitern der Stelle seines Biwaks wieder zu.
    Der Tag verging in einer erwartungsvollen Unruhe. Das Zelt Napoleons wurde abgebrochen. Er begab sich in ein unfern gelegenes Bauernhaus, das er von Zeit zu Zeit verließ, um einen Ritt durch das Lager zu machen und den Mut der Truppen durch seine Gegenwart zu beleben. Mit der steigenden Sonne wurde es schwül und schwüler. Die drückende Hitze der langen Sommertage des Nordens drohte alles zu ersticken; die Sonne schoß glühende Pfeile herab. Die Truppen hielten sich still im Lager; die Sorge für die Pferde und Waffen war die einzige Beschäftigung, welche man vornahm; doch selbst diese ermüdete in der durchglühten Luft. Jedes schattige Fleckchen wurde aufgesucht und benutzt; ein frischer Trunk war das einzige Labsal, wonach man strebte. In Ägypten, in Syrien, nicht in dem nordischen Rußland glaubte man Krieg zu führen.
    Endlich wuchsen die Schatten wieder, die Sonne neigte sich. Gegen acht Uhr abends brachen einige Pionierabteilungen nach dem Strome auf, um die Brücken zu schlagen. Mit der näher und näher rückenden Minute der Entscheidung stieg die Spannung. Schon deswegen würde der Schlaf die erwartungsvollen Krieger geflohen haben, wenn sie auch nicht in der ermattenden Hitze des Tages der Ruhe gepflegt hätten. Endlich um Mitternacht kam der Befehl zum Aufbruch. In größter Stille sollte man ausrücken; kein Laut durfte gehört, kein Funke gesehen werden.
    Rasinski ließ aufsitzen und rückte in dicht geschlossenen Kolonnen auf einem breiten Wege vor, der nach dem Strome führte. Nach einer halben Stunde machte man halt auf einem mit tauigem Getreide bewachsenen Hügel. Die hungerigen Pferde rupften das junge Korn ab; die Leute lagerten sich auf dem feuchten Boden. Mit Ungeduld erwartete man den Anbruch des Tages. Düstere Nachtnebelwolken verzögerten ihn. Endlich erhob sich ein frischer Wind, zerstreute die Dünste und enthüllte das erste, zarte Morgenrot, welches aus dem tiefen Rußland herüberglänzte. Jetzt vermochte der Blick über die jenseitigen Ufer hinzuschweifen, denn man überblickte sie weithin von den Hügeln, auf denen man stand. Welch ein düstere Ahnungen weckender Anblick! Nur über unermeßliche Wälder und wüste Sandsteppen schweifte das Auge hin. Wie? Zog man deshalb aus, um mit so vielen tausend Opfern, mit Strömen Blutes ein so ödes, unwirtbares Land, das nur einem unermeßlichen Gefängnis glich, erobern zu wollen? Eine trübe Niedergeschlagenheit bemächtigte sich der Seele des Kriegers. Da tönte ein schmetterndes Trompetensignal; die Sonne stieg blutig, aber glänzend über dem schwarzen Fichtenwalde empor, und ein frisches Wehen der Morgenlüfte erfüllte die Brust wieder mit Freude und Kraft. Aller Augen wandten sich zurück nach der Gegend, woher das kriegerische Zeichen des Aufbruchs erklang. Es war am Gezelt des Kaisers, welches man in der Nacht auf der höchsten Uferhöhe aufgeschlagen hatte. Die Sonne beleuchtete es strahlend; prächtig schimmerten die weißen, blauen und roten Felder der dreifarbigen Fahnen, die es schmückten. Ein glänzendes Gefolge von Marschällen und Generalen hielt vor dem Zelt. Der Kaiser trat heraus, grüßte militärisch und schwang sich auf seinen arabischen Schimmel. Jetzt brachen wie auf einen Wink die Kolonnen aus dem Saume des Waldes hervor. In wenigen Minuten bedeckten sich alle Hügel mit den schwarzen strömenden Massen, aus deren hellen Waffen die glühende Morgensonne zurückblitzte. Das ganze Gefilde wogte und leuchtete; das Herz wuchs bei dem Anblick dieser ungeheuern Kräfte. In drei breiten Strömen ergoß sich die schwarze Flut schlängelnd durch

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