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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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die Strandebenen gegen die drei Brücken zu, welche die Ufer des Stroms verbanden, dessen Spiegel bald die Scharen verdoppelte. Jetzt brach auch der Kaiser auf und ritt mit seinem Gefolge an den Kolonnen hinunter, der mittlern Brücke zu und hinüber. Nicht zagend, nicht bedenklich, betrat er das feindliche Ufer; ungestüm, feurig sprengte er hinüber. Jenseit hielt er an und ließ die Scharen an sich vorüberziehen; der Blick seines dunkeln Auges entzündete ein unerlöschliches Feuer des Mutes in der Brust der Krieger. Sie begrüßten ihn mit lautem Jubel, daß das ganze Gefilde erdröhnte und die stummen Waldwüsten das brausende Getöse staunend zu vernehmen schienen.
    Erst gegen die zehnte Vormittagsstunde rückte Rasinski mit seinem Regiment über die Brücke; der Kaiser sah ihn wohlwollend an und grüßte freundlich, als die Polen in ihrer Sprache den Jubelruf: »Es lebe der Kaiser!« erhoben. Dann wandte er plötzlich sein Roß und jagte pfeilschnell die sandige Landstraße hinunter, tief in den Wald hinein, so daß er den Blicken seiner Krieger völlig verschwand. Ein Gefühl seltsamer Unruhe bemächtigte sich sogleich ihrer Brust, als sie den, der sie in diese Öden des Nordens geführt hatte, plötzlich allein in denselben verschwinden sahen, als würde er von der Wüste verschlungen. Doch bald kehrte er mit verhängtem Zügel zurück. Er sah unruhig, mißmutig aus; es schien ihn zu verdrießen, daß er den Feind, den sein kampfbegieriges, sieggewisses Herz herbeigewünscht, nicht antraf.
    Langsam zogen die Heermassen den Strom aufwärts. Jetzt hörte man in der Ferne Kanonendonner. Man lauschte; es dröhnte abermals dumpf, wie fernes Krachen des Geschützes.
    In aller Zügen las man die unruhige, erwartungsvolle Spannung; die Reihen schlossen sich dichter, ordneten sich strenger. Adjutanten sprengten hin und wieder; Generale jagten die Uferhöhen hinauf. Man durfte vermuten, daß eines der Seitenkorps unter dem Könige von Westfalen oder dem Vizekönige von Italien den Kampf angenommen habe. Da tönte das dumpfe Rollen stärker, aber es war nicht das einer fernen Schlacht, sondern der Donner eines schwer heraufziehenden Gewitters.
    Schon wuchs das schwarze, mit schwefeligen Wetterstreifen durchzogene Gewölk über die niedern Waldhügel herauf; der Strom schoß in finstern Wellen dahin; die Sonne verschwand. Von allen Seiten zog sich die düstere Hülle über das reine Blau des Himmels; ringsumher rollte der Donner; eine erstickende Schwüle beklemmte den Atem. Schweigend, langsam rückte das Heer vorwärts; man vernahm nichts als das geheimnisvolle, hoch über den Häuptern und rings in den Tiefen der Wälder murmelnde Getöse des Donners. Jetzt erhob sich auch der Sturm, zog sausend heran und jagte die Wellen mit schäumenden Häuptern zwischen den Ufern dahin. Plötzlich zuckte ein furchtbarer Blitz durch den Himmel, daß der ganze Horizont in Feuer stand und der Niemen die flammende Helle rötlich zurückspiegelte. Mit bleichem Antlitz sahen die Krieger einander an. Da krachte der Donner betäubend über ihren Häuptern, der Himmel zerriß und in zischenden Strömen prasselte der Regen herab.
    Das war der Empfang auf Rußlands Boden!

Zweiter Teil.
Fünftes Buch.
Erstes Kapitel.
    Seit Ludwigs Abwesenheit schwanden seiner Mutter und Schwester die Tage still und traurig dahin; Marie trug ihren Schmerz mit sanftem Dulden. Sie klagte nicht, sie weinte nicht, nur in verdoppelter liebender Sorge für die Mutter suchte sie Trost; über ihr ganzes Wesen war eine wehmütige Freundlichkeit gebreitet, welche ihr einen neuen zartern Reiz verlieh. Sie wurde, und dies ist die Natur edler Seelen, durch ihren Kummer besser, und je mehr sie selbst litt, desto reger wurde ihre Aufmerksamkeit und ihr Mitgefühl für die Leiden anderer. So widmete sie der Mutter, deren Brustübel sich seit der innern Erschütterung, die Ludwigs Schicksal ihr bereitet hatte, leider bedenklich verschlimmerte, alle Gedanken ihrer Seele; vom frühesten Morgen an, wenn sie, vor dem Tage erwacht, einsam auf ihrem Lager saß, sann sie darauf, wie sie durch kleine Freuden und Annehmlichkeiten der Kränkelnden über die lange, stumme Trauer dieser trüben Tage hinweghelfen, sie unvermerkt über ihren Schmerz täuschen wollte. Heimlich aber quälte sie sich mit der Besorgnis, daß die Tage der Mutter ihrem Ziele nahe seien. Und nicht ohne Grund; denn sie kannte jenes stille Untergraben der Gesundheit, welches der verschlossene, entweder aus

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