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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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Fußpfad einschlagen, der sich bald wieder mit der Straße vereinigte. Dort stiegen sie ein und erreichten nunmehr nach wenigen Stunden ihren wohlbekannten Aufenthaltsort. Sie wurden daselbst von ihren alten Wirten, dem Tischlermeister Holder und seiner Frau, denen sie schon angemeldet waren, aufs freundlichste begrüßt, und Marie hatte die Freude, von allen Kindern des Hauses, selbst von dem kleinen vierjährigen Mädchen, wieder erkannt zu werden. In wenigen Minuten waren sie in ihren beiden stillen Gartenstübchen eingerichtet und fühlten sich so traulich und wohl daselbst wie in ihrem eigenen Hause. Die Tür ihres Wohnzimmers leitete unmittelbar in den ziemlich großen Garten – denn das Haus lag in der Vorstadt – hinaus; zwar war derselbe größtenteils zu Obst und Küchengewächsen benutzt, jedoch fanden sich auch einige Blumenstöcke und schattige Lauben darin, welche einen ganz angenehmen Aufenthalt gewährten, zumal da man in der Ferne den Schloßberg mit seiner herrlichen Ruine über die Gebüsche hineinragen sah.
    Marie hatte einen ganz eigentümlich weiblichen Sinn des Einnistens und Einbauens in trauliche Verhältnisse; es war ihr zur andern Natur geworden, alles um sich her freundlich und heimisch zu gestalten. Ein nicht geordnetes Zimmer erregte ihr oft, ohne daß sie sich dessen selbst bewußt war, ein peinliches Unbehagen. Dagegen fand sie sich glücklich im Einrichten und Aufschmücken eines Ortes, den sie zum Aufenthalt gewählt hatte. Nicht daß sie die Pracht oder auch nur die modische Eleganz geliebt hätte, aber alles um sie her mußte einen freundlichen Anstrich haben. Die Art, wie sie einen Blumentopf setzte, ihre weiblichen Handarbeiten im Zimmer um sich her ordnete, die Bücher, welche sie zunächst las, ihre Noten, kleinen Zeichnungen rings um sich her verbreitete, alles dies gewährte eine Behaglichkeit, von der sich jeder Eintretende, sobald er nur einen Blick über das Zimmer geworfen hatte, überrascht fand. So war es denn auch jetzt ihr erstes Geschäft, die Koffer auszupacken und die Räume des Gemachs teils zu füllen, teils zu zieren. Ihr weiblicher Ordnungssinn war aber nicht auf äußern Schein allein gerichtet, sondern erstreckte sich auch überall dahin, wohin das Auge des fremden Beobachters nicht drang. In ihrem Nähtisch, ihrem Kleiderschrank war dieselbe zierliche und bequem-nützliche Einrichtung anzutreffen wie in ihrem Zimmer; ja, in ihrer Kleidung, in ihrem Haar erkannte der Beobachter das Walten desselben Gesetzes, die Wirksamkeit derselben Eigenschaften der Seele. Sollte man sich verwundern, wenn diese trauliche Ordnung und harmonische Verbindung der Räume und Dinge auch gewissermaßen in ihrem Charakter selbst zu erkennen war? Sie hätte einen düstern Kerker wohnlich zu machen gewußt durch weibliches Ordnen und Walten – wie hätte sie nicht durch fromme entsagende Betrachtung, durch ein stetes aufmerksames Zusammenhalten ihrer Kräfte und Pflichten, durch ein williges Anerkennen alles dessen, was ihr Gütiges begegnete, auch der trüben Verwirrung tief schmerzlicher Geschicke eine sanftere Gestaltung geben, durch einen gefaßten Willen die Heftigkeit aufgeregter Leidenschaften auf eine schöne, wohltuende Weise zügeln sollen? Dieser eigentümlichen Kraft ihres Gemüts verdankte sie eine sanfte Heiterkeit, die sie sogar in so traurigen Zeiten, wie sie jetzt durchlebte, nicht verließ und sich auch auf ihre Umgebungen verbreitete. Und die segnende Wirkung dieser, es ist schwer zu entscheiden, ob durch Übung des Willens oder durch eine glückliche Naturanlage erlangten Kraft strömte auch auf sie selbst zurück. Denn wie sie durch dieselbe ihre Nächsten, Liebsten und vor allen ihre Mutter erheiterte, so wurde sie selbst in der Tat glücklicher, froher, hoffnungsreicher und sah, wenngleich durch einige trübe Schleier, doch mit freierm, vertrauensvollem Blicke in die Zukunft hinaus.
    Am ersten Abende verließen beide Frauen das Haus nicht mehr; Marie hatte den Teetisch in die Gartenlaube tragen lassen, wo man, von wilden Weinranken und blühendem Jelängerjelieber umschattet, behaglich im Kühlen saß und den Schloßberg mit seinen Ruinen, von der Abendsonne glänzend vergoldet, vor sich sah. Hierhin lud sie die Töchter des Wirts ein, Anna und Therese, die erste ein zwölfjähriges, kluges, aufgewecktes Kind, das Marien schon so manche Belehrung verdankte und sie wohl genutzt hatte, die andere ein blondes, vierjähriges Lockenköpfchen, dessen drollige

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