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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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Grundsatz, oder infolge einer besondern Eigentümlichkeit des Gemüts sich wenig äußernde, innerlich aber desto mächtiger verzehrende Schmerz ausübt. Und die Mutter duldete so. Ein Fremder hätte bei dem steten Gleichmute, welchen sie zeigte, bei ihrer freundlichen, wiewohl nicht lebhaften Teilnahme an allem, was um sie her vorging, schwerlich geahnt, daß die Brust dieser still wohlwollenden Frau von einer so schweren Sorge, einem so tiefen Kummer erfüllt war. Marie kannte sie und fürchtete daher um so mehr, je weniger zu fürchten schien.
    So seltsam es scheinen mag, so war doch diese Zeit der Prüfungen eine ungemein wohltätige für Marien, denn die strengen Forderungen der Pflicht, welche sie als besorgte Pflegerin der Mutter zu erfüllen hatte, zogen sie von der steten Beschäftigung mit ihrem eigenen Schmerze ab, der auf diese Weise unvermerkt von seiner herben Schärfe verlor und mild auszuheilen begann, so daß sie nicht mehr die heißen Schmerzen der Wunde selbst, sondern nur die sanfte Ermattung empfand, welche nachzufolgen pflegt, wenn die heftigste Verblutung vorüber ist. Sie war auch zu einer äußerlichen Tätigkeit gezwungen, und diese zog sie am meisten von dem Versinken in sich selbst ab. Manches trug auch das dazu bei, daß abwechselnd Julie oder Emma vom Lande hereinkamen und ihr treulich Gesellschaft und Beistand leisteten.
    So verstrich die Hälfte des Sommers fast zum Erstaunen schnell, und die Tage fingen schon merklich an wieder abzunehmen, als die Mutter sich wieder gestärkt genug glaubte, um ins Bad nach Teplitz gehen zu können, welches sie in jedem Jahre zu gebrauchen pflegte. Der Juli war noch nicht ganz verflossen, als sie diese Reise in Begleitung Mariens antrat. An einem heitern Morgen, wo der Himmel im reinsten Blau über der Erde stand, und das Silbernetz des Taues reich blitzend über die ganze Flur geworfen war, verließen sie die Stadt. In einem einsamen, an der Straße unweit Peterswalde stehenden Gasthause brachten sie die Mittagsstunden zu. Währenddessen kühlte ein am Himmel heraufgestiegenes Gewitter, welches sich in einem furchtbaren Regenstrom entlud, die glühende Atmosphäre wohltätig ab. Sie fuhren weiter, als der Regen noch leise herabtröpfelte, obwohl das Gewölk sich schon verzog und heitere blaue Streifen durch die duftigen Nebelschleier blickten. Die tiefer stehende Sonne warf freundliche Strahlen seitwärts herein, daß Laub und Auen im funkelnden Diamantenschmuck der Tropfen glänzten. So erreichten sie den Nollendorfer Berg, den sie langsam hinanfuhren. Mit der Nachmittagssonne langten sie auf dem Gipfel bei der kleinen Kirche an, und nunmehr lag das ganze Königreich Böhmen zu ihren Füßen ausgebreitet da. So oft Marie auch diesen großartigen Anblick gehabt hatte, so war sie doch immer neu von demselben überrascht und entzückt.
    Sie stieg mit der Mutter aus dem Wagen und ging mit ihr von der Straße ab bis an die Kapelle, wo sie sich im Schatten derselben – denn die Sonne stand schon westlich hinter dem Gebirge – auf eine Bank niedersetzten. Das Erzgebirge dehnte seine grüne schattige Waldmauer majestätisch nach Südost hin aus; in den tiefen Schluchten glänzten die reinlichen Häuser vieler Ortschaften, Schlösser, Abteien. Die langen Waldungen streckten sich oft weit in das Land hinein, bevor sie sich in Kornfelder oder Wiesen verliefen; die Chaussee zog ihren weißen glänzenden Streifen in schlängelnder Windung den Abhang des Berges hinunter, teilte den Fichtenwald und reihte dann nach und nach die reichen Dörfer der Hügelebene an ihrem Bande auf. Marie ließ mit Wohlgefallen ihre Blicke über die bekannte Landschaft schweifen. Mit träumerischer Ahnung heftete sie das Auge an die hohen blauen Bergkolosse der beiden Milleschauer, welche, ein majestätisches Zwillingspaar, im Herzen Böhmens aufstiegen und den Hauptteil der östlichen Begrenzung des Horizonts einnahmen. Über sie hinaus, dorthin, wohin der Westwind die verziehenden Gewitterwolken trieb, dorthin lag das ungeheuere Land, wo jetzt die Teuersten weilten, welche sie auf Erden besaß. Denn in tiefer, verschleierter Stille schlug ihr Herz auch für den Mann, dessen männlich würdiges Wesen, dessen edler Sinn ihre Liebe zugleich mit der wärmsten Achtung gewonnen hatte, und dem sie gern gefolgt wäre, wenn sie sich nicht durch heiligere Bande an das Vaterland gefesselt fühlte.
    Der Wagen mußte des steilen Abhangs wegen einhemmen, daher konnten die Frauen einen nähern

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