1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
für die Darstellung der Kriegsereignisse und für die furchtbaren Szenen des Rückzugs der französischen Armee. Aus den Erinnerungen seiner Jugend aber schöpfte er die einheitliche Stimmung, die über dem ganzen Werke ruht und den Leser noch heute packt und mit sich fortreißt. In dieser Hinsicht hat Rellstabs Roman eine historische Bedeutung, er ist ein Denkmal seiner Zeit, ein gewaltiges Panorama einer Epoche, deren Perspektiven in der Tat unermeßlich waren, und schildert mit unparteiischer Wahrheit den Vulkan, dessen Ausbruch ganz Europa erzittern machte. Er ist kein Beitrag zu dem in den dreißiger Jahren übertriebenen Napoleon-Kultus in deutschen Landen, wenn er auch der überragenden Größe des neuen Cäsars alle Gerechtigkeit widerfahren läßt. Er zeigt das damalige Europa, wie es fast hilflos im Bann des Übergewaltigen lag, und erhöht dadurch nur unsere Bewunderung vor der Kraft, die schließlich jene Fesseln zu brechen vermochte. Kein anderes deutsches Literaturwerk in erzählender Form hat das mit gleicher Wirkung bisher versucht.
In dem Gefühl, sein Bestes getan zu haben, war Rellstab seines Erfolges ungewöhnlich sicher, und er hoffte sein Werk gleichzeitig auch in fremden Sprachen erscheinen zu sehen, wie schon sein »Algier und Paris« einen französischen, holländischen und schwedischen Übersetzer gefunden hatte. Diese Hoffnung erfüllte sich jedoch erst später, als der unleugbare Erfolg des Originalwerks auch die fremden Verleger ermutigt hatte. »1812« erschien im Frühjahr 1834. Bereits ein Jahr nach Erscheinen machte sich ein Neudruck nötig, 1843 erschien die dritte, 1854 die vierte, 1860 die fünfte und 1892 die sechste Auflage. Wie stark das Buch gelesen wurde, darüber enthalten die Tagebücher des Verlegers Heinrich Brockhaus eine interessante Notiz. Er besuchte im Oktober 1855 einen Geschäftsfreund in Lindau und berichtet von dort:
Der Buchhändler Stettner sagte, das noch immer am allermeisten gelesene Werk sei aus unserm Verlag, und wies mir dann einen Band von Rellstabs »1812«, in einer Weise zerlesen und zusammengeflickt, daß man kaum begreift, wie es noch jemand zum Lesen in die Hand nehmen mag. Ein Leihbibliothekar könnte eben manchen sehr interessanten Beitrag zur Statistik der deutschen Literatur liefern, und erst bei Vergleichung des Absatzes eines Buchs mit den Listen eines Bücherverleihers würde sich ein richtiges Urteil herausstellen über die Verbreitung der neuesten Unterhaltungsbücher und über den Beifall, den diese und jene Autoren im Publikum finden.
Bekanntlich ist diese schon hier vorgeschlagene Statistik zur Feststellung der gelesensten Bücher neuerdings regelmäßig im Schwange. Jenes Bibliotheksexemplar hat sich dann Brockhaus zur Erinnerung ausgebeten und gegen ein neues eingetauscht; zerlumpt und gebräunt steht es noch heute als Denkmal seiner selbst im Archiv des Verlages.
Abgesehen von Druckfehlerberichtigungen hat der Roman in seinen verschiedenen Auflagen keinerlei Veränderungen erlitten. Auch dieser Neudruck gibt daher den unveränderten und unverkürzten Text der Originalausgabe. Von den frühern Ausgaben unterscheidet sich diese neue nur durch andere Anordnung des Drucks und durch die Beigabe der Illustrationen . Rellstabs Roman behandelt weltgeschichtliche Ereignisse, die, wie kaum eine andere Epoche der Geschichte, der bildenden Kunst eines ganzen Jahrhunderts Anregung zu hervorragenden Werken der Malerei geboten haben. Rellstab selbst hat bei der Arbeit vielfach vorliegende Gemälde und Kupferstiche, bildliche Zeugen aus der Zeit des russischen Feldzugs benutzt, und Dichter und Künstler begegnen sich in vielen Punkten. Aus dem reichen Illustrationsmaterial, das die Ikonographie des Jahres 1812 bietet, wurde deshalb eine Auswahl getroffen, und so erstehen in dieser Neuausgabe die Hauptmomente und führenden Persönlichkeiten des Romans auch bildlich vor dem Auge des Lesers. Mit einer Ausnahme gehen die Illustrationen sämtlich auf Originalgemälde zurück.
Man wird angesichts dieser neuen Ausgabe mit Recht fragen: Was hat diesem Roman ein so ehrwürdiges und doch frisches Alter verliehen? Was hat ihn über siebeneinhalb Jahrzehnte siegreich hinweggetragen, daß er noch immer das Interesse der Leser fesselt, und die zahlreiche Nachfrage danach den Verleger zu einem Neudruck ermutigt? – Eine Antwort darauf läßt sich wohl geben. In der großen Masse der Lesewelt ruht tief eingewurzelt die Lust am Fabulieren, die Freude an
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