1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
und Untertanen, daß ich jetzo gleich diese entsetzliche Amputation werde erdulden müssen! Noch bin ich euer Gebieter, noch halte ich euch mit dem Bande unsers Freudengesetzes zusammen; wenige Körner Sandes verrinnen, und das Band ist gesprengt, und ihr fahret auseinander, oder vielmehr zusammen, nach Hause, versteht sich. Jetzt erst beginnen die mühseligen und gefahrvollen Wege, und jetzt gerade überläßt der Abfall euers Herrschers euch dem Zufall, der so leicht zum Falle werden kann auf der holperigen Straße nach Teplitz. Nun denn, meine Untertanen, fahret hin! – aber fahret wohl!« Damit leerte er sein Glas, bot der Monarchin den Arm und führte sie hinab an den Wagen. Wie zuvor stieg man nach geordneten Paaren ein, und eins nach dem andern rollte in der schönen Mondnacht dahin, die ihren sanft verhüllenden Schleier über Täler und Gebirge warf.
Der Tag der Freude war verrauscht, die herzliche Lust verklungen. Nur ein leises Echo bebte noch in mancher Brust nach und erfüllte sie mit süß weh- mütigen Empfindungen.
Sechstes Kapitel.
Der Morgen graute bereits, als Marie leise wieder in die kleine Hinterpforte trat, deren Schlüssel sie mitgenommen, um, ohne jemand zu stören, ihr Schlafgemach erreichen zu können. Es nahm sie wunder, daß in dem Zimmer der Mutter noch Licht brannte. Vorsichtig schlich sie näher und blickte durch die mit Weinlaub vergitterten Fenster hinein. Es brannte eine Nachtlampe; ein Lichtschein warf einen dunkeln Schatten auf das Bett, und an demselben saß auf einem Lehnsessel eine weibliche Gestalt, deren Züge Marie nicht unterscheiden konnte. Ein heftiger Schreck durchbebte sie bei diesem Anblick; sie empfand ihn bis in die zitternden Knie hinein, so daß es ihr fast unmöglich wurde, sich auf den Füßen zu erhalten und in das Haus zu gehen. War die Mutter plötzlich so krank geworden? War ihr irgendein anderes Unheil zugestoßen? Von diesem Gedanken geängstigt trat sie in ihr Gemach ein und öffnete alsdann leise die Tür, welche zur Mutter führte. Als sie eintrat, erwachte die Wirtin, denn sie war es, welche im Lehnstuhl saß, aus dem leichten Schlummer, in den sie gesunken war; sie erkannte Marien sogleich und winkte ihr mit dem Finger auf dem Munde Ruhe zu, während sie mit der andern Hand auf die schlummernde Kranke deutete. Marie blieb erwartungsvoll in der Tür stehen; Frau Holder ging ihr auf den Zehen entgegen und mit ihr in das Nebengemach. »Um Gottes willen, was fehlt meiner Mutter?« fragte sie, als die Tür ge- schlossen war, aus tief beklommener Brust.
»Ängstigen Sie sich nicht zu sehr, liebes Fräulein,« entgegnete die Wirtin beruhigend, »der Zufall wird nicht von Bedeutung sein. Heute früh, als Ihre Frau Mutter sich, von mir begleitet, nebst vielen andern Brunnengästen auf der Promenade befand, erschallte plötzlich der Ruf: Ein toller Hund, ein toller Hund! Alles stürzte erschreckt auseinander und suchte eine Zuflucht in den nächsten Gebäuden. Auch wir flüchteten mit größester Eile, um ein Haus zu erreichen. Da hörten wir lautes Geschrei hinter uns, und als wir uns umsahen, erblickten wir in der Tat das wütende Tier im vollen Laufe nach der Richtung, die wir genommen hatten. Im Schrecken stürzten wir seitwärts die kleine Anhöhe hinan zu den großen Kastanienbäumen hinauf. Wir erreichten sie glücklich! Das tolle Tier nahm seinen Lauf an uns vorüber, nach der Stadt zu, wo es auch erschossen worden ist. Allein die Anstrengung und der Schreck hatten uns beide ganz außer Atem gebracht, und besonders Ihrer Frau Mutter war die Brust etwas angegriffen; daher ihre Unpäßlichkeit.« ,
Marie hatte bebend und mit abwechselndem Erröten und Erblassen die Erzählung angehört. Sie schöpfte erst Atem, als es vorüber war, dann sprach sie gefaßt: »Sagen Sie mir alles, liebe Frau Holder, ja alles. Ich muß es ja wissen, wenn ich die Pflegerin meiner Mutter sein soll! Ist der Arzt hier gewesen? Was hat er verordnet?« Im Sprechen verlor Marie ihre schwer errungene Fassung wieder; denn immer ängstigendere Vorstellungen stiegen während dieser Fragen in ihr auf.
»Gewiß haben wir sogleich zum Arzt geschickt,« sprach die Wirtin; »er hat der Kranken vor allem Ruhe empfohlen, da er hörte, daß sie etwas Blut ausgeworfen habe.« – »Ein Blutsturz!« rief Marie, von dem schrecklichen Worte mit plötzlicher Übermacht getroffen. »Allmächtiger Gott, auch das noch sendest du mir!« Es war zuviel für ihre Kräfte; die ganze weiblich starke
Weitere Kostenlose Bücher